Borisow beugt sich der Strompreis-Revolte

21. Februar 2013

Schwere Krise im EU-Land Bulgarien: Unter dem Druck gewalttätiger Massenproteste tritt die Regierung von Bojko Borisow geschlossen zurück. Doch die Aktionen gehen weiter – Bulgarien droht in Anarchie zu versinken.

Jeder Tropfen Blut sei eine Schande für ihn, begründete Bulgariens Premierminister Bojko Borisow gestern Mittwoch vor dem Parlament in der Hauptstadt Sofia seine Ankündigung, dass die gesamte Regierung zurücktreten werde: Er könne nicht den Staat lenken, «wenn draussen die Menschen von der Polizei geschlagen werden». Borisows Entschluss kam nicht nur für die Abgeordneten, sondern auch für die meisten Regierungsmitglieder überraschend. Am Tag zuvor hatte der bullige Vorsitzende der Partei Gerb (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) noch bekräftigt, dass er trotz Massenprotesten bis zuden nächsten Parlamentswahlen im Juli im Amt bleiben wolle. Doch der Druck der Strasse war stärker.

In Sofia und anderen Städten demonstrieren Hunderttausende Menschen seit dem Wochenende gegen hohe Strompreise und die Sparpolitik der Regierung. Der Zorn der Demonstranten richtete sich zuerst vor allem gegen die drei Energiekonzerne aus Tschechien und Österreich, die sämtliche Stromleitungen in Bulgarien kontrollieren. Am Sonntag wurde in der zweitgrössten Stadt Plowdiw das Büro der Energieversorgung Niederösterreich (EVN) belagert. Mehrere Firmenautos gingen in Flammen auf.

Zwei Selbstanzündungen

Seit Wochenbeginn richteten sich die Proteste aber immer mehr gegen Bojko Borisow und seine Sparpolitik. Auf den Kundgebungen wurden der Premier und seine Minister als Mafia beschimpft und zum Rücktritt aufgefordert. In Sofia griffen in der Nacht auf gestern vermummte Demonstranten die Polizei an. Wieder wurden Autos demoliert und mindestens zehn Menschen verletzt. Verbitterung und Hoffnungslosigkeit treiben die Bulgaren zur extremsten Form des Protests. Am Dienstag zündete sich ein Mann im zentralbulgarischen Weliko Tarnowo an und starb, gestern früh folgte ihm ein anderer in der Schwarzmeerstadt Warna. Er wurde von der Polizei gerettet und liegt mit lebensgefährlichen Brandwunden im Krankenhaus.

Borisow hatte am Wochenende versucht, durch den Rücktritt des umstrittenen Finanzministers Simeon Djankow dem Protest Wind aus den Segeln zu nehmen. Das misslang. Daraufhin kündigte die Regierung an, sie werde ab März die Strompreise senken und ausserdem dem tschechischen Stromkonzern CEZ die Lizenz in Bulgarien entziehen. Auch das konnte die Demonstranten nicht beruhigen. Viele von ihnen haben für die vergangenen drei Monate Stromrechnungen bekommen, die ihre Gehälter oder Pensionen übersteigen. Dabei war der Winter bisher nicht besonders hart.

Bulgarien ist das ärmste Land in der Europäischen Union, der Durchschnittslohn liegt bei monatlich 400 Franken. Da auch das Gas in den vergangenen Jahren immer teurer wurde, heizen viele Bulgaren mit elektrischen Radiatoren. Seit November stiegen die Strompreise um 13 Prozent. Die ausländischen Stromkonzerne weisen jedoch jede Schuld von sich: Sowohl die Preise für den Einkauf von Strom als auch für den Verkauf an die Konsumenten würden von einer staatlichen Kommission festgelegt.

Ein taktisches Manöver?

Nach dem Rücktritt der Regierung Borisow soll ein Expertenkabinett das Land in den nächsten Monaten führen. Die Opposition fordert vorgezogene Wahlen, spätestens im Mai. Das Parlament in Sofia wird heute Donnerstag über die Demission beraten und sie vermutlich annehmen. Bulgarische Kommentatoren beurteilen Borisows überraschenden Schritt als taktisches Manöver im beginnenden Wahlkampf.

Der ehemalige Leibwächter, der mit dem Versprechen in die Politik ging, Bulgarien von Korruption zu säubern und zu einem europäischen Musterland zu machen, will nicht für die Proteste verantwortlich gemacht werden. Der Sprecher eines Protestkomitees in Sofia kündigte gestern allerdings an, dass die Demonstrationen auch nach dem Rücktritt Borisows weitergehen würden – so lange, bis die politische Krise Bulgariens gelöst sei.