Chris soll nicht aufs Abstellgleis

3. März 2011

Österreichs Bahnfahrer kämpfen für ihre Ansagerin – und gegen den Computer.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Wer im Zürcher Hauptbahnhof in einen Zug nach Innsbruck, Salzburg oder Wien steigt, kann die Stimme nicht überhören. «Sehr geehrte Fahrgäste! Im Namen der ÖBB begrüssen wir Sie im Railjet», ertönt sie aus den Lautsprechern, nach jeder Station: «Der Railjet verfügt über drei Klassen, in denen Sie individuell betreut werden, sowie über ein Railjet-Bistro in der Mitte des Zuges. 80 Bildschirme informieren Sie über Halte und Ankunftszeiten.» Nun kann man über die «individuelle Betreuung» im österreichischen Premiumzug geteilter Meinung sein – die ungeliebten Bistros werden bald zu Speisewagen umgebaut, und die «80 Bildschirme» sind in Wahrheit 58.

Über solche Übertreibungen wollen wir jedoch nobel hinwegsehen und lieber über die Stimme aus dem Lautsprecher reden. Sie gehört Chris Lohner, die in Österreich als Radiosprecherin und TV-Moderatorin zur Legende wurde. Für unvergessliche Fernsehmomente sorgte sie in der Kriminalserie «Kottan ermittelt», als sie den einfältigen Kommissar massregelte. Heute schreibt sie Romane, Lebensratgeber und spielt Theater. Und seit 1979 ist sie in Bahnhofshallen, auf Bahnsteigen und in allen Zügen zu hören. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) seien damals die erste Bahnverwaltung in Europa gewesen, die mit einer Stimme eine «Corporate Identity» schufen, sagt Lohner, die heute noch Fanpost bekommt: «Die Leute sagen mir:‹Es ist so angenehm, in der Bahn Ihre Stimme zu hören. Wir wissen dann, dass wir zu Hause sind.›»

Ginge es nach den ÖBB, würde Lohner bald verstummen. Eine am Computer erzeugte Stimme namens «Petra» sollte sie ersetzen. Seit vergangenem Jahr ist Petra auf den Bahnhöfen in Innsbruck und Salzburg zu hören, in nächster Zeit sollten weitere Stationen entlang der Westbahn folgen. Wels, Linz, vielleicht auch Wien. Die ÖBB lobten die Flexibilität der künstlichen Stimme: Informationen könnten schnell an die Fahrgäste weitergegeben werden, man müsse den Text nur in den Computer eingeben. So einfach aber liessen sich die Fahrgäste «ihre» Chris nicht wegnehmen.

Bereits an ihren ersten Arbeitstagen sorgte Petra für Protest. Die Fahrgäste empfanden die Stimme als unpersönlich, kalt und – (schlimmer geht es nicht mehr) als deutsch! Das ist nicht übertrieben. Auf dem Salzburger Hauptbahnhof sagt die elektronische Petra Züge und Stationen mit hörbar norddeutschem Akzent an. Zu Beginn konnte sie nicht einmal alle Ortsnamen richtig betonen, was gestandene Salzburger zur Weissglut trieb. Protest formierte sich auch im Internet. Die Facebook-Gruppe «Liebe ÖBB – Chris Lohner darf nicht aufs Abstellgleis!» hat über 700 Mitglieder, die «Petra – ab nach Bielefeld!» fordern. Lohner wurde von der ÖBB-Führung über ihre elektronische Konkurrentin gar nicht informiert. Sie sei zwar nicht beleidigt, sagt sie: «Aber wenn man, so wie die ÖBB, immer wieder mal im Schussfeld steht, nimmt man den Kunden doch nicht gerade das weg, was sie gern haben.» Das werde ihr von Fahrgästen immer wieder bestätigt.

Mittlerweile wird das von den Bähnlern auch so gesehen. Der Protest der Kunden bewirkt in der Vorstandsetage der ÖBB ein Umdenken. Das Projekt Petra werde nicht ausgedehnt, sagt ÖBB-Sprecher Herbert Ofner zum «Tages-Anzeiger». Auch in Innsbruck und Salzburg soll Computerstimme Petra wieder verstummen, die Umstellung von Maschine auf Mensch könnte allerdings noch dauern. In den kommenden Monaten werden Salzburger und Tiroler die deutsche Aussprache aus den Lautsprechern noch erdulden müssen. Prinzipiell aber habe sich die österreichische Bahn dazu entschlossen, ihre Züge wieder von Menschen ansagen zu lassen, so der ÖBB-Sprecher. Wessen Stimme in Zukunft unter anderem denRailjet aus Zürich ansagen wird, sei zwar noch nicht entschieden, «aber Chris Lohner ist sicher eine Option».