Den Mächtigen zu neugierig

25. Oktober 2016

Der Journalist Jovo Martinovic deckte zu viele Missstände in Montenegro auf. Jetzt sitzt er im Gefängnis

Ein heisser Tag in einem Café an der montenegrinischen Küste. Es ist der Sommer 1999, die Nato hat soeben die serbischen Massaker in Kosovo gestoppt. In dem Café sitzt ein ehemaliges Mitglied einer paramilitärischen Einheit und erzählt, wie er mit seinen Kameraden albanische Dörfer anzündete, die Frauen und Kinder vertrieb, die Männer massakrierte. Drei Journalisten hören zu, ein Amerikaner, eine Holländerin und ich. Es ist das erste Mal, dass einer der Täter über Kriegsverbrechen spricht. Einfädeln konnte so ein hochsensibles Gespräch nur einer: Jovo Martinovic, ein junger, aber schon sehr erfahrener und hoch engagierter montenegrinischer Journalist, der für uns als Übersetzer arbeitete. 

In den folgenden Jahren arbeitete Martinovic mit so ziemlich allen renommierten internationalen Medien, vom «Wall Street Journal» bis zur NZZ. In dem kleinen Bergland mit seiner Clanstruktur war er bestens vernetzt und bekam deshalb nicht nur Zugang zu höchsten Kreisen der Politik, sondern auch zu den Chefs der Unterwelt (wobei das in Montenegro nicht immer scharf zu trennen ist). Heute sitzt der 42-Jährige selbst im Gefängnis. Vor einem Jahr wurde er in seiner Heimatstadt Podgorica verhaftet. Den Grund erfuhr er erst viel später: Die Anklage liegt seit April vor, diese Woche soll der Prozess beginnen.

Der Staatsanwalt wirft Martinovic die Beteiligung am Drogenhandel vor. Er soll einem Boss der berüchtigten Bande Pink Panther eine abhörsichere App aufs Handy installiert haben, damit dieser seine Drogengeschäfte abwickeln konnte. Tatsächlich kannte Martinovic diesen Boss aus einer Recherche über die Pink Panther. Er habe den Kontakt nur für seine journalistische Arbeit gepflegt, versichert der Angeklagte einer Journalistin des österreichischen «Standards», die ihn im Gefängnis sprechen konnte. 

Viele jener Journalisten, mit denen Martinovic arbeitete, setzen sich für ihn ein. Sie sehen die Verhaftung als einen Racheakt für die zahlreichen Enthüllungen krimineller Machenschaften. Unverständlich ist vor allem die lange Untersuchungshaft. Die Föderation europäischer und internationaler Journalisten fordert die Freilassung des Angeklagten. Martinovic solle sich in Freiheit verteidigen können. 

Vor einer Woche gewann Premier Milo Djukanovic wieder einmal die Parlamentswahlen, sein Clan regiert Montenegro nun seit einem Vierteljahrhundert. Die EU ist mit den demokratischen Standards des Kleinstaats alles andere als zufrieden. Vor allem der Mangel an Medienfreiheit wird kritisiert: Journalisten werden bedroht und attackiert, wenn sie Korruptionsfälle aufdecken oder unangenehme Fragen stellen. 

Das Verfahren gegen Martinovic gilt auch als Test für die Unabhängigkeit der Justiz eines Landes, das sich selbst für reif für den Beitritt zur Nato und bald auch zur EU hält.