Der Fettnapf-Zehnkampf

1. Juli 2013

Österreichs Minister verpassen keine Gelegenheit, sich so richtig unbeliebt zu machen.

Jetzt hat also die Justizministerin die Führung übernommen. Das ist doch überraschend, denn Beatrix Karl galt eher als Kandidatin für das Mittelfeld. Anderseits: Warum nicht Karl? Bei einem so ungewöhnlichen Wettbewerb muss man immer mit Überraschungen rechnen: In der Österreichischen Volkspartei (ÖVP), der bürgerlichen Partei in der Regierungskoalition, kämpfen die Minister drei Monate vor den Parlamentswahlen um einen ausgefallenen Titel: Wer kann seinen Ruf am schnellsten und am gründlichsten ruinieren?

Bis vor ein paar Tagen schien Umwelt- und Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich den Sieg auf sicher zu haben: Wie der Burgenländer, der sich ganz bescheiden «Lebensminister» nennt, ein paar Maisbauern gegen die Masse der Bienenfreunde verteidigte, wie er wider jegliche Vernunft den Einsatz von Pestiziden fortsetzen wollte und dann auch noch Informationen über die Menge der eingesetzten Pestizide verweigerte, das hatte Klasse. Mit dieser quer liegenden PR-Strategie war Berlakovich der Titel des unbeliebtesten Ministers Österreichs kaum zu nehmen.Bis Parteikollegin Karl kam. Sie ist eine Aussenseiterin - sicherlich. Aber deshalb auch sträflich unterschätzt. Und Karl zeigte diese Woche, was wirklich in ihr steckt. In nur 9 Minuten und 8 Sekunden Fernsehinterview ruinierte sie ihren Ruf so nachhaltig, dass der Umweltminister vor Neid erblassen musste.

Karl wirkte im TV-Studio nicht nur kalt und zynisch, nein, sie zeigte auch fachliche Inkompetenz und lieferte Zitate der Gefühllosigkeit, die bei den Zuschauern hängen blieben («der Strafvollzug ist nicht das Paradies»). Anders als in der Schweiz müssen in Österreich auch Jugendliche in Untersuchungshaft. Und werden dort tagelang weggesperrt, ohne die Möglichkeit auf Bewegung oder Beschäftigung, weil das Wachpersonal fehlt. In so einer Situation wurde ein 14-Jähriger in seiner Zelle misshandelt und vergewaltigt. Richter und Sozialarbeiter brachten den Fall in die Presse, sprachen von «Folter» und prangerten die Haftverhältnisse an. Ministerin Karl aber fand das alles nicht so schlimm und machte das Opfer zum «Straftäter», obwohl der junge Mann nur Untersuchungshäftling war und kurz nach dem Übergriff freigelassen wurde.

Dass Karl zwei Tage nach dem Interview ihre Aussagen zurücknahm, verringert zwar ihren Vorsprung im Worst-Image-Race, kann ihr aber die Führung nicht nehmen. Karls Stärke ist das Schwächeln ihrer Gegner: Als die heutige Finanzministerin Maria Fekter noch das Innenressort leitete, galt sie mit ihren Attacken auf minderjährige Asylwerberinnen («Ich habe nach den Gesetzen vorzugehen, egal ob mich Rehlein-Augen aus dem Fernseher anstarren oder nicht») als sicherer Tipp für einen Start-Ziel- Sieg. Mit ihrer Plauderei über die Nierensteine von EU-Politiker Jean-Claude Juncker schien die Ministerin die Poleposition zu halten, doch seit sie das Bankgeheimnis nicht mehr «mit Zähnen und Klauen» verteidigen kann, fällt sie deutlich zurück.Fekters Nachfolgerin im Innenressort, Johanna Mikl-Leitner, hat zwar den Charme einer Sandviper, konnte sich aber doch noch nicht flächendeckend unbeliebt machen.

Als Zukunftshoffnung gilt Parteichef und Aussenminister Michael Spindelegger, dem noch Tritte in so manches Fettnäpfchen zugetraut werden. Seine Kampagne gegen gut verdienende Mieter in geförderten Kommunalwohnungen, obwohl er selbst lange in so einer gelebt hatte, war ein vielversprechender Anfang. Beobachter sind sich aber einig, dass «Spindi» noch kräftig zulegen muss, um zum Spitzenfeld aufzuschliessen.Dort sind Lebensminister und Justizministerin zurzeit allein. Es zeichnet sich ein Fotofinish ab, im Moment liegt Frau Karl vorn, aber vor den Wahlen Ende September wird sich Herr Berlakovich sicher noch ein-, zweimal gründlich unbeliebt machen.Dass beide Minister der nächsten Regierung nicht mehr angehören sollen, sind bösartige Gerüchte neidischer Konkurrenten. Im Gegenteil: Ist der Ruf einmal ruiniert, regiert sich's völlig ungeniert.