Das Schneechaos in Ungarn verhinderte zwar die Kundgebungen zum Nationalfeiertag – aber nicht die Auszeichnung mehrerer Antisemiten.
«Das Leben normalisiert sich wieder», verkündet Ungarns Regierungschef Viktor Orban auf seiner Facebook-Seite. Dazu gibt es ein kurzes Video mit Schneepflügen und dankbaren Bürgern, die von Rettungskräften vorbildlich betreut werden. Tatsächlich kehrte gestern ein wenig Normalität zurück nach Ungarn. Die Sonne schien zeitweise, die Temperaturen stiegen auf ein paar Grad über null. Doch die Ereignisse der vergangenen Tage werden die Ungarn nicht so schnell vergessen und die Politik wohl noch länger beschäftigen.
In der Nacht zum 15. März, dem ungarischen Nationalfeiertag, führten starke Schneefälle und orkanartige Stürme zu Verkehrschaos und Stromausfällen im ganzen Land. Auf der Autobahn von Budapest zur österreichischen Grenze steckten über 10 000 Menschen in ihren Autos eine Nacht und einen Tag lang fest. Die Regierung rief den Notstand aus und setzte Panzer zur Schneeräumung ein. Dennoch war die Lage erst am Samstag halbwegs unter Kontrolle.
Die Berichterstattung über die Katastrophe zeigt, wie sehr Ungarn gespalten ist – in der Politik und in den Medien: Die von der Regierung kontrollierten öffentlich-rechtlichen Medien brachten vor allem Erfolgsmeldungen von Rettungseinsätzen, dazu Bilder von Innenminister Sandor Pinter (mit Mobiltelefon am Ohr) und Orban, der vorzeitig vom Brüsseler EU-Gipfel zurückkehrte. Oft wurde betont, dass der plötzliche Wintereinbruch nicht vorherzusehen war.
Regierungskritische Medien und Onlineportale zitierten hingegen Autofahrer, die sich vom Staat im Stich gelassen fühlten: Niemand habe Hilfe geleistet, niemand informiert. Auf Facebook wurde die Selbsthilfegruppe «Was geschah am 15. März?» gegründet. Leidtragende des Schneesturms veröffentlichten dort ihre Erlebnisse. Die Regierung versuche, das Versagen der Einsatzkräfte zu verschleiern, heisst es in der Begründung. Zeitungskommentatoren spekulieren, dass die verspätete und schlecht organisierte Hilfe der Regierung Orban langfristig mehr schaden könnte als die im Ausland heftig kritisierte Verfassungsreform.
Christus, ein skythischer Prinz?
Allerdings blieb die Regierung auch im Schneechaos politisch nicht untätig: Aus Anlass des Nationalfeiertags wurden mehrere hohe staatliche Auszeichnungen vergeben – an fanatische Rechtsextremisten und Antisemiten. Den höchsten Journalistenpreis erhielt der Moderator Ferenc Szaniszlo, der im Sender Echo TV, welcher der rechtsextremen Jobbik nahe steht, Juden und Roma als «Müll» oder «Menschenaffen» verunglimpft. Das Goldene Verdienstkreuz erhielt Janos Petras, Sänger der Band Karpatia, die regelmässig bei den Veranstaltungen von Jobbik auftritt. In einem Lied ruft die Band zur Rückeroberung der verlorenen ungarischen Gebiete auf. Ausgezeichnet wurde auch der Archäologe Kornel Bakay, ein antisemitischer Esoteriker, der Jesus Christus zum skythischen Prinzen und Vorfahren der Ungarn erklärt. Bakays Theorie ist in ungarisch-nationalistischen Kreisen populär – der Wissenschafter zeigt in seiner Arbeit Sympathien für die Regimes von Miklos Horthy und den faschistischen Pfeilkreuzlern.
Alle Preise wurden vom Ministerium für Humanressourcen vergeben. Ressortchef Zoltan Balog überreichte TVModerator Ferenc Szaniszlo persönlich den Preis. Kurz danach erklärte der Minister in einer Aussendung, er habe von Szaniszlos Aussagen keine Ahnung gehabt; sie passten nicht ins Wertesystem von Fidesz. Menschen mit einem ganz ähnlichen Weltbild wie Szaniszlo passen der Regierungspartei jedoch durchaus: Der Publizist Zsolt Bayer bedauerte in seinen Kolumnen, dass in der Zwischenkriegszeit nicht mehr liberale Juden ermordet wurden, und rief zur Vertreibung der Roma auf: Dennoch darf er für Viktor Orban «Friedensmärsche» organisieren und wurde unlängst von Parlamentspräsident Laszlo Köver öffentlich in Schutz genommen: «Wir stehen zusammen», sagte der Fidesz-Politiker über Bayer: «Wir werden einander niemals verleugnen.»