Die Revolution ist bunt, nicht braun

1. März 2014

In der Protestbewegung des Maidan sind die Rechtsextremen eine kleine Minderheit. Die Brandreden in Moskau provozieren erst jenen «ukrainischen Faschismus», vor dem die Russen jetzt schon warnen.

Ein bemerkenswertes Dokument steht seit gestern auf der Website der israelischen Botschaft in Kiew: «Der Botschafter Israels in der Ukraine, Reuven El Din, traf am 26. Februar 2014 die Führung der Bewegung ‹Rechter Sektor› und deren Anführer Dmitro Jarosch.» Bei dem Treffen habe die Bewegung betont, dass sie jede Form des Chauvinismus und der Fremdenfeindlichkeit ablehne: «Alle negativen Erscheinungen, insbesondere Antisemitismus, werden vom ‹Rechten Sektor› nicht nur nicht unterstützt, sondern auch in Zukunft mit allen gesetzlichen Mitteln bekämpft.»


Der Tag danach auf dem Kiewer Maidan. Foto: B. Odehnal

Vielleicht meint Jarosch das Bekenntnis nicht ganz so ernst, wie er es sagt. Dennoch ist die klare Distanzierung des «Rechten Sektors» ebenso beachtlich, wie der Schritt des offiziellen Vertreters Israels, der sich mit den Führern einer Bewegung trifft, die von der russischen Regierung ebenso wie von linken, antifaschistischen Gruppen im Westen als «Neonazis» verteufelt werden.

Zugegeben: In den vergangenen Wochen taten die Rechtsextremen nicht gerade viel, um die Bedenken zu zerstreuen. Auf ihren Schilden und Uniformen trugen sie germanische Runen wie die deutschen Neonazis, auf ihren Zelten hingen Bilder des 1959 verstorbenen ukrainischen Antisemiten und Nazikollaborateurs Stepan Bandera. Die kleine Gruppe Rechtsradikaler war in den brutalen Strassenschlachten mit der Polizei besonders sichtbar, weil sie in der ersten Reihe stand. Repräsentativ für die Protestbewegung gegen das System Janukowitsch war sie aber nicht.

Viele Lehrer unter den Opfern

Die Bewegung war und ist bunt, sie reicht von politisch ganz rechts bis zu anarchistischen Splittergruppen. Viel mehr als die Neonazis repräsentieren Menschen wie Jewgeni Tschobitko den Maidan: ein 37-jähriger Unternehmer mit vier Kindern, der einfach genug hatte von den Schikanen der Behörden, von den täglichen Schmiergeldzahlungen an Verkehrspolizisten, Beamte und Ärzte. Der deshalb sein Büro verliess und sich an eine Barrikade stellte, Seite an Seite mit dem «Rechten Sektor». Tschobitko hat nichts mit Bandera und Nazisymbolen am Hut. Er will einfach «in einem normalen Rechtsstaat mit einer funktionierenden Wirtschaft leben, der auch meinen Kindern eine Zukunft bieten kann».

Oder Victoria Murowana, Mutter und Angestellte in Kiew. Als die Polizei begann, auf die jungen Männer der «Selbstverteidigung» einzuprügeln und zu schiessen, meldete sie sich zum Lazarettdienst und pflegte Verwundete in einem Untergrundspital. Auch ihr ist rechte, nationalistische Ideologie völlig fremd. Aber auch sie zeigt Respekt vor dem selbstmörderischen Mut, mit dem sich Mitglieder des «Rechten Sektors» von den Scharfschützen abschlachten liessen. Hat sie deshalb an einer «braunen Revolution» teilgenommen, wie die Protestbewegung auf dem Maidan in westlichen antifaschistischen Foren bezeichnet wird?

Nicht nur rechtsextreme Aktivisten mussten ihr Leben lassen, auch linke Studenten, Bauern und beachtlich viele Lehrer. Ihre Fotos und kurze Biografien sind überall auf dem Maidan zu sehen, umgeben von einem Blumenmeer. Die Überlebenden reden jetzt nicht von echten und nicht echten Ukrainern. Sie wollen die Täter und die korrupten Politiker zur Verantwortung ziehen. Und sie wollen ein Teil Europas sein. Was fast schon vergessen ist: Die Protestbewegung auf dem Maidan begann als Reaktion auf die Weigerung Janukowitschs, ein Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Jetzt, nach der Schlacht, rückt die Europaidee wieder in den Vordergrund. Die Bewegung heisst immer noch Euromaidan.

Russische Separatisten rechtfertigen Flughafenbesetzungen und Strassensperren auf der Krim mit der angeblichen Bedrohung durch ukrainische Faschisten. Diese Gefahr gibt es nicht. Vorerst zumindest nicht. Die Verteidiger des Maidan sind erschöpft. Die Symbole des «Rechten Sektors» sind verschwunden, die Politiker der rechtspopulistischen Partei Swoboda haben Kreide gefressen und geben sich als liberale Europafreunde. Offenbar sind sie der Meinung, dass ein proeuropäischer Kurs derzeit sogar bei ihren Wählern besser ankommt als dumpfe nationalistische Parolen.

Milizen unter Kontrolle bringen

Aber dann gibt es Hunderte, vielleicht Tausende junge Männer, die den Maidan verteidigten und ihn heute in Tarnuniformen mit Baseballschlägern in der Hand kontrollieren. Sie sind militärisch in Einheiten organisiert, haben einen Stab und Kommandanten. Die meisten sind unpolitisch, der «Rechte Sektor» ist nur eine dieser Einheiten. Aber sie alle haben jetzt das Gefühl, wichtig zu sein, ihr Land gerettet zu haben. Nun wollen sie von diesem Land eine Gegenleistung. Was tun mit ihnen?

Die neue Regierung versucht, sie in die bestehenden militärischen Strukturen einzugliedern. Der Führer des Maidan, Andrei Paruby, wurde zum Leiter des Nationalen Sicherheitsrats ernannt, der Führer des «Rechten Sektors», Dmitro Jarosch, zu seinem Stellvertreter. Die entscheidende Frage ist nun, ob der Staat diese paramilitärischen Milizen schnell genug unter seine Kontrolle bekommt.

Noch hält der Zustand der Erschöpfung an. Aber wenn die Situation auf der Krim ausser Kontrolle gerät, wenn die Russen auf der Halbinsel mit Unterstützung der russischen Regierung die ukrainische Minderheit angreifen, dann werden sich die jungen Männer vom Maidan demnächst auf dem Weg nach Osten machen. So, wie sie sich vor zwei Monaten aus ihren Dörfern auf den Weg nach Kiew machten. Ob die ukrainischen «Selbstverteidiger» jetzt auf die Krim weiterziehen, wird nicht in Kiew, sondern in Moskau entschieden. Die Brandreden in Moskau provozieren erst jenen «ukrainischen Faschismus», vor dem die Russen jetzt schon warnen.