Die Verhaftung, die eine ganze Branche durchschüttelt

8. Mai 2018

Das Leben schien es mit M. S. gut zu meinen. Doch dann schlug die Justiz in der Treuhandfirma des Liechtensteiners zu.

In seiner Bar gingen Prominente aus Sport und Showbusiness ein und aus, seine Treuhandfirmen hatten Kunden aus St. Moritz, aus Kanada, Israel und von den Bahamas. Auch wenn S. in den USA von der Justiz gesucht wurde: In seiner Heimat Liechtenstein war der heute 53-Jährige ein angesehenes Mitglied der Gesellschaft. In Liechtensteiner Medien tauchte er als Gesellschaftslöwe auf oder als Finanzexperte auf der Suche nach neuen Geschäfts­modellen für Treuhänder: Liechtenstein solle reichen Familien «einen Platz für den Wohlstand» anbieten.


Liechtenstein in a nutshell: Links die Banken, rechts die Treuhänder, darüber der Fürst. 

Nun bekam S. selbst einen neuen Platz zugewiesen. Von der Liechtensteiner Justiz. Im Gefängnis.

Mitte April fanden in der Privatwohnung von S. und in seinen Büros Hausdurchsuchungen statt. Beschlagnahmt wurden Unterlagen seiner Liechtensteiner und seiner Schweizer Treuhandfirma sowie Computer und Mobiltelefon. S. ist seither in Untersuchungshaft. Gegen ihn werde wegen des Vorwurfs der Veruntreuung, der Geldwäsche und des schweren Betrugs ermittelt, bestätigt der Leiter der Staatsanwaltschaft, Robert Wallner, auf Anfrage. Der Schaden könnte 10 Millionen Franken übersteigen. Die Bar von S. in Vaduz stellte vergangene Woche den Konkursantrag. Für S. gilt die Unschuldsvermutung.

Doch kein Einzelfall

Schon im vergangenen Herbst wurde in Liechtenstein ein Treuhänder verurteilt, der die Vermögen seiner Kunden missbrauchte. Damals erklärten Behörden und Standesvertreter: Das sei ein bedauerlicher Einzelfall. Doch die Justiz funktioniere.

Die These vom Einzelfall ist nicht mehr zu halten. In Vaduz geht das Gerücht um, dass die zweite Verhaftung nicht die letzte sein werde. Und dass in der Liechtensteiner Treuhandbranche bald kein Stein auf dem anderen bleiben werde. Bis jetzt kontrolliert sich diese Branche praktisch selbst, über ihren Interessensverband. Das soll geändert werden. Die Finanzmarktaufsicht FMA «sieht Handlungsbedarf in der Aufsicht über den Treuhandsektor», sagt FMA-Mediensprecher Lukas Müller. Sie erarbeitet nun Vorschläge für eine stärkere Kontrolle. Beschliessen muss die Massnahmen aber die Regierung: Die «Stärkung der Stiftungsaufsicht und zivilrechtliche Massnahmen» würden derzeit evaluiert, bestätigt der Generalsekretär des Finanzministeriums, Markus Biedermann. Wann diese Evaluierung abgeschlossen wird, sagt er nicht.

Auf der anderen Seite steht die Treuhandkammer, die gerade ihre Standesrichtlinien überarbeitet. Dabei geht es nur um die Übertragung von Mandaten. Von einer stärkeren Kontrolle halten die Treuhänder naturgemäss wenig. Sie würden gerne alles belassen, wie es ist. Es habe Fälle gegeben, «die waren nicht in Ordnung», erklärte das Vorstandsmitglied der Treuhandkammer Prinz Michael von Liechtenstein in einem Interview mit dem «Volksblatt»: «Wir arbeiten daran, die Reputation zu wahren.» Das war kurz vor der Verhaftung von S.

Der Fall S. ist für die Branche besonders heikel. Es geht nicht nur um mutmasslichen Betrug, sondern auch um die Frage, wie ein Mann, der in den USA seit zehn Jahren von der Justiz gesucht wird, in Liechtenstein ungehindert und unkontrolliert seinen Geschäften nachgehen konnte.

Im April 2008 wurde S. von der US-Bundesanwaltschaft in Florida angeklagt, weil er gemeinsam mit dem Mitarbeiter der Grossbank UBS Bradley Birkenfeld einem Multimillionär zur Steuerflucht verholfen habe. Birkenfeld wurde zum Whistleblower, die UBS musste 780 Millionen Dollar zahlen und Kundendaten herausrücken. Es war der Anfang vom Ende des Schweizer Bankgeheimnisses, wie man es bis dahin kannte. S. aber entzog sich der amerikanischen Justiz. In Liechtenstein war Beihilfe zur Steuervermeidung im Ausland damals keine Straftat. An ein Ersuchen der USA um Auslieferung kann sich Staatsanwalt Wallner nicht erinnern: Liechtenstein liefere, so wie die Schweiz, seine Staatsbürger ohnehin nicht aus. 

In direktem Zusammenhang mit der amerikanischen Anklage steht die Verhaftung von S. in Liechtenstein nicht. ­Allerdings ist seine damalige Treuhandfirma nach wie vor aktiv und Gegenstand der neuen Ermittlungen. Seit 2015 soll S. Gelder von Kunden ohne ­deren Wissen und Einwilligung entnommen haben. Diese Kunden sind keine ­natürlichen Personen, sondern ebenfalls Treuhandgesellschaften, mit steuerschonendem Sitz auf den Bahamas oder in Panama. Ein Firmenname taucht in den Panama Papers auf. Es könnte also sein, dass hier Steuerbetrüger selbst betrogen wurden. 

S. soll das Geld für Autos und Ferien, für die Bar in Vaduz und für Rechnungen seiner eigenen Firma verwendet haben. Dabei soll er wie bei einem Pyramidenspiel vorgegangen sein: Wenn ein Kunde Verdacht schöpfte, füllte S. das betreffende Konto mit dem Geld eines anderen Kundenkontos auf. Das ging so lange gut, bis einer seiner Mitarbeiter Anzeige erstattete. S. wird von einer Anwaltskanzlei in Vaduz vertreten, die sich aber «grundsätzlich weder zu Mandanten noch zu laufenden Verfahren äussert». Die FMA sagt, dass es vor Bekanntwerden der Strafanzeige «keine Verdachtsmomente» gegeben habe.

Liechtensteiner Treuhänder binden ihre Kunden mit speziellen Mandatsverträgen praktisch auf ewig an sich. Die Versuchung, selbst mit den fremden Finanzen zu jonglieren, ist dadurch gross. Diese Möglichkeiten nutzte auch Treuhänder Harry G., ein ehemaliger Präsident von Verwaltungs- und Staatsgericht. Über viele Jahre hinweg hatte er Geld von den Konten seiner Kunden abgehoben. 2016 wurde der heute 69-jährige «Fürstliche Justizrat» verhaftet und in einem ersten Verfahren wegen der Veruntreuung von 13 Millionen Franken zu sechs Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In einer weiteren Anklage, die von der Staatsanwaltschaft vorletzte Woche eingebracht wurde, geht es um einen zusätzlichen Schaden von 28,5 Millionen Franken.

«Sehr unglückliche Geschichte»

Dass in Liechtenstein Treuhänder über Jahre hinweg Gelder ihrer Kunden in Millionenhöhe abziehen können, wird in der Finanzwelt mit immer mehr Unbehagen registriert. Im Dezember 2017 warnte ein Anwalt in der Wochenzeitung «Wirtschaft regional» vor der Gefahr für den Finanzplatz Liechtenstein: Treuhänder handelten mehr im eigenen Interesse als in jenem ihrer Kunden. Diese würden deshalb ihre Vermögen abziehen: «Wenn die Absatzbewegung einmal Fahrt aufnimmt, ist sie nicht mehr zu stoppen.» Die Liechtensteiner Treuhandkammer verurteilte damals den Kommentar als «unsachlichen, bösartigen» Versuch, dem Finanzplatz Liechtenstein zu schaden.

Heute spricht der Vertreter der Treuhandkammer, Ivo Elkuch, von einer «sehr unglücklichen Geschichte». Die Ermittlungen gegen G. und gegen S. stünden zwar in keinem direkten Zusammenhang, sagt Elkuch dieser Zeitung: «Aber sie tun dem Ruf der Branche nicht gut.» Elkuch kündigt «notwendige Anpassungen bei der Regulierung» an. Darüber tausche man sich nun mit FMA und Regierung aus. Details will er nicht verraten.

Grosse Sorgen um das Image des Finanzplatzes macht sich auch der Bankenverband. Deutlicher als andere warnte er schon nach der Verhaftung des Justizrates G. vor der «negativen ­Reputation». Jetzt erwarte der Bankenverband die Verbesserung des aktuellen Aufsichtsregimes. Die Massnahmen, sagt Sprecher Simon Tribelhorn, «müssen schnell und konsequent umgesetzt werden».