Jetzt macht der Kinderkanal «Gehirnwäsche»

28. März 2013

Ungarns Regierung fürchtet sich vor dem deutschen Kinderfernsehen.

Heute, lieber Kinder, sprechen wir über Ungarn. Genauer: Wir sprechen über eine Fernsehsendung, die über Ungarn spricht. Nicht viel, eine Minute, aber das reicht, um eine ganze Regierung in Rage zu bringen, vom kleinen Pressesprecher bis zum allmächtigen Ministerpräsidenten.

Es geht um «Logo», die allabendliche Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Kinderkanals «Kika» von ARD und ZDF, der auch in Österreich und der Schweiz empfangen werden kann. In einem kurzen Beitrag hat «Logo» am 16. März das Problem mit der Verfassungsänderung in Ungarn und den Ärger darüber in der EU dargestellt: wie das Verfassungsgericht entmachtet wird und wie Ungarn die Medienfreiheit einschränkt. Das geschah mit Hilfe von Grafiken und einfachen, aber keineswegs einfältigen Erklärungen.

Ihr kennt das ja sicher. «Logo» schafft es immer wieder, komplexe Vorgänge knapp und präzise zu erklären. Ob nun die Finanzkrise, die arabische Revolution oder die ungarische Verfassung. Manche Akteure kommen dabei gut weg, andere weniger. Ihre Verbote werden mit finster blickenden Strichmännchen und Sprechblasen dargestellt, die rot durchgestrichen sind. Proteste dagegen sind nicht bekannt, weder aus der Finanzwelt noch dem ägyptischen Präsidentenpalast.

Die ungarische Regierung aber empfindet den Bericht im deutschen Kinderkanal nicht nur als Beleidigung, sondern als echte Bedrohung. Besonders erregt ist der Regierungssprecher Ferenc Kumin. Er bezeichnet sich in seinem Internetblog zwar als Mann mit Sinn für Humor, aber «das ist nicht lustig». Weil: «In einem Kinderprogramm! Es ist eine Schande!» Wenn nun einige Medien berichteten, dass er sich beleidigt fühle, dann sei das völlig korrekt, bloggt Kumin: «Und zwar nicht nur als internationaler Sprecher, sondern als Ungar und Vater. Wir haben unsere Unzufriedenheit den Kollegen in Berlin mitgeteilt.»

Nun gut, werdet ihr vielleicht sagen, liebe Kinder: Das ist ein kleiner Angestellter der Regierung. Der kann auf seinem Blog schon einmal auf den Putz hauen. Ein Minister oder gar ein Regierungschef hingegen würde sich niemals mit Kinderkram beschäftigen. Falsch gedacht! Ungarns Aussenminister János Martonyi lässt gleich eine amtliche Mitteilung gegen den Bericht verfassen und ist besonders betroffen, «weil falsche Informationen Kinder in die Irre führen». Das teilt er auch dem deutschen Botschafter in Budapest mit. Gegenüber ausländischen Journalisten legt Martonyi diese Woche nach: Der Bericht sei «grundsätzlich unfair und geschmacklos».

Gut, aber ist nach dem Protest des Aussenministers Schluss? Nein, denn es fehlt ja noch einer. Und der darf in einer Geschichte über Ungarn niemals fehlen. Also: Auftritt des Regierungschefs. In seiner freitäglichen Radioansprache möchte Viktor Orbán den Kurzbericht in «Logo» nicht ignorieren. So ein grosser Staatsmann sorgt sich nämlich nicht nur um sein eigenes Land, sondern um Europa und die ganze Welt. Und besonders um die deutschen Kinder, denen durch verleumderische TV-Programme die Gehirne gewaschen werden. Lügen und falsche Fakten in Kinderprogrammen? In Ungarn wäre so etwas nicht möglich, versichert der fünffache Vater seinen Zuhörern: «Wenn das im ungarischen Fernsehen geschähe, würden die Verantwortlichen sofort rausfliegen.»

Tja, und so ist es ja auch geschehen. Wer im ungarischen Fernsehen nicht über die eine, nämlich Orbáns Wahrheit berichtet hat, ist rausgeflogen. So können Ungarns Kinder heute jeden Abend auf dem Bildschirm eine heile Welt sehen: mit glücklichen Lehrern und Schülern, Arbeitern und Bauern, die ihre Regierung loben und preisen, weil sie mit ihr einer strahlenden Zukunft entgegengehen. Eine Welt, wie sie schon ihre Eltern im Fernsehen gesehen haben, vor 1989. Das böse «Logo» kann in Ungarn Gott sei Dank nicht empfangen werden.