Kämpfer an der Wasserfront

12. Juni 2013

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban inszeniert sich in der Flut als Verteidiger der Nation.

Noch ist die Gefahr nicht gebannt. Der Pegel der Donau sinkt nur langsam in Ungarn. Noch immer steht das Wasser bis knapp unter den Rand der Dämme: in Esztergom, im Donauknie und südlich der Hauptstadt. In Budapest stehen die Quais auf beiden Flussseiten weiterhin unter Wasser. Die Donau schwappte zwar nicht über die Sandsackbarrieren, kam aber durch die übervollen Abwasserkanäle an die Oberfläche und flutete Strassen und Plätze. Dennoch stellt der Krisenstab der ungarischen Regierung fest, dass die schwerste Zeit wohl überstanden sei. Das Atomkraftwerk Paks war nicht bedroht, auch die Dämme der hochgiftigen Rotschlammbecken nordwestlich von Budapest haben gehalten.


Land unter: Die Donau flutete die Quais von Budapest. Foto: B. Odehnal

Während sich die braunen Wassermassen langsam zurückziehen, rollt die Flut der Propagandabilder erst so richtig an. Ministerpräsident Viktor Orban leitet den Krisenstab in Hochwasserzeiten, sein Team stellt die Leistungen des Chefs ins rechte Licht. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, auf den Titelblättern der Zeitungen und in Orbans Facebook-Gruppe ist der Regierungschef im Einsatz zu sehen: in Gummistiefeln und Regenjacke, manchmal auch hemdsärmlig, stets an vorderster Stelle, stets Herr der Lage. Orban läuft voraus, sein Stab hat Mühe, ihm zu folgen. Orban sitzt wie ein Feldherr über einer Ungarnkarte, den Blick bedeutungsschwanger in die Ferne gerichtet. In so einer Krisensituation sei der Ministerpräsident in seinem Element, sagt Agoston Mraz, Chef des regierungsnahen Analyseinstituts Nézöpont: «Orban ist ein Kämpfer, nur im Kampf fühlt er sich wohl.»

Wasser kam zur rechten Zeit

Kein Zufall ist deshalb auch die Wortwahl: Orban koordiniert nicht Massnahmen gegen das Hochwasser, er «verteidigt» das Land gegen die Wassermassen (die noch dazu aus dem Ausland kommen). Oft hat der Regierungschef in den vergangenen Tagen mit diesem Bild des Anführers einer Verteidigungsschlacht gespielt. Seine Anhänger danken es: «Vorwärts, Viktor», schreiben sie auf seiner FacebookSeite: «Glücklich das Land, das so einen mutigen Ministerpräsidenten hat.» Orban habe den Vorteil, dass er in Gummistiefeln und Regenjacke gut aussehe, sagt Analyst Mraz, «das unterscheidet ihn von Angela Merkel».


Viktor Orbán plant die Verteidigung. Quelle: Facebook

Für Orban kommt das Hochwasser zur rechten Zeit. Vor der Flut kritisierten selbst ihm wohlgesinnte Medien die Neuvergabe der Verkaufslizenzen für Tabak, bei der ausschliesslich Freunde und Förderer der Regierungspartei Fidesz zum Zug kamen. Der Skandal hätte die Reputation der Regierung beschädigen können. Doch das Hochwasser hat ihn völlig aus der öffentlichen Debatte verdrängt. «Orban hat eine Chance bekommen und sie genutzt», sagt der Analyst Aaron Varga vom Institut Policysolutions. Varga bemerkt, dass ausser dem Hochwasser in ungarischen Medien praktisch kein Thema mehr vorkommt. So kann die Regierungspartei jetzt ein Gesetz durchbringen, das die Informationspflicht von Ministern und Beamten einschränkt: Sie müssen Medien und Bürgern keine Auskunft geben, wenn sie sich überlastet fühlen.


Warten auf das Wasser: Orbán auf der Budapester Margareteninsel. Quelle: Facebook.

Die Opposition spielt bei der Inszenierung der Hochwasserhilfe brav mit. Niemand glaubt, es sich in diesen Stunden leisten zu können, keine Sandsäcke zu schleppen. Die Sozialisten haben die Kritik an der Regierung eingestellt, der linke Spitzenkandidat Gordon Bajnai lässt sich an der Seite eines Mitglieds der rechtsradikalen Jobbik fotografieren. In der Stunde der Not gebe es keine Ideologien, ist die Botschaft.

Hilfsbereite Antisemiten

Gewählt wird nächstes Jahr, und Fotos aus dem Krisengebiet werden jetzt mit Blick auf die Wahlwerbung gemacht. Die rechtsradikale Partei Jobbik schickt deshalb die eigentlich verbotene Ungarische Garde in den Hochwassereinsatz. Sie wird entlang der Donau willkommen geheissen. Lediglich der Bürgermeister der kleinen Gemeinde Tahitótfalu, nördlich von Budapest, schickte einen Trupp von rund 140 Rechtsextremen wieder weg.

Selbst in einer nationalen Krise unterscheiden die Rechtsextremen zwischen Freund und Feind. Als der Reporter Szabolcs Toth des privaten Fernsehsenders ATV vergangenes Wochenende nördlich der Gemeinde Szentendre die Feuerwehr beim Abfüllen von Sandsäcken filmen wollte, sagte ein Feuerwehrmann laut zu seinen lachenden Kameraden: «Da kommen ja die Juden.» ATV gilt als der linken Opposition nahestehend. Für die Rechten gilt der Sender daher als «jüdisch». Er habe keinen Konflikt provozieren wollen und sei mit seinem Team zurück zum Auto gegangen, sagt Toth. Dabei hätten sie den Feuerwehrmann beobachtet, der mit den Worten «ich gehe jetzt auf die Juden pissen» am Wegrand sein Wasser liess. Beleidigungen hat der Journalist schon öfter gehört, aber «von einem Staatsangestellten in Uniform erwarte ich Benehmen.» Die Landesführung des Katastrophenschutzes schickte danach eine Erklärung aus, dass man so ein Verhalten nicht mehr dulden werde.