Klein Helvetien in der Puszta

22. Juli 2017

Der Spezialist für Ultraschall-Diagnostik hat in Ungarn ein Hotel und ein Ausbildungszentrum errichtet. Schweizer Senioren sollen dort ihren Lebensabend verbringen.

«Das wird eine Piratenlandung. Keine Programmierung, nur Handsteuerung.» In einer engen Kurve zieht Beat Dubs den Airbus A 320 über den Greifensee hinweg in Richtung Kloten. Die Landebahn ist in Sicht, Dubs geht in den Sinkflug, fährt das Fahrwerk aus, setzt sanft auf Piste 34 auf. Eine saubere Landung. «Trotzdem würde ich nach so einer Aktion meine Lizenz verlieren», sagt Dubs, steht vom Pilotensitz auf und geht ins Freie. Draussen vertreibt ein kühler Abendwind die Hitze des Tages, der Kuckuck ruft, Frösche quaken, Grillen zirpen. Kein Mensch und kein Motorenlärm stören die Ruhe. Um die Pilotenlizenz muss sich der 67-jährige Dubs keine Sorgen machen. Sein Airbus ist ein Flugsimulator und steht 1000 Kilometer vom Flughafen Zürich entfernt – in der ungarischen Puszta.


Dr. Beat Dubs in seinem Flugsimulator. Foto: Andras D. Hajdu

Auf dem flachen Land zwischen den Dörfern Csolyospalos, Kömpöc und Kiskunmajsa hat der Arzt aus Zürich eine Oase schweizerisch-ungarischer Gastfreundschaft geschaffen. Dass er seinem Hotel den Namen Dornröschen gab, lag irgendwie auf der Hand. Die ganz in Weiss gehaltenen Gebäude liegen versteckt in einem Akazienwald, weitab von Hauptstrassen und Eisenbahn. Einziger Zugang ist ein schmaler Schotterweg. In den Feldern ringsum äsen Rehe, auf den Strommasten nisten Störche, und in den Tümpeln hocken Krötenarten, die in der Schweiz längst ausgestorben sind.


Das Schweizer Hotel «Dornröschen» in der Puszta. Foto: Andras D. Hajdu

Er habe sich in dieses Land verliebt, sagt Dubs, und wolle nun seinen Schweizer Landsleuten Ungarn näherbringen. Dabei hat er sich eigentlich in der ungarischen Tiefebene seine kleine Schweizer Welt geschaffen, mit Schweizer Sauberkeit und Schweizer Technik. Selbst die Steckdosen haben die Schweizer Norm. Und auch die Preise sind ziemlich schweizerisch. Aber das Dornröschen ist ja auch ein Viersternhotel (das einzige in der Umgebung, betont Dubs), mit Tennisplatz und Pool, mit Kellnern, die in weissen Handschuhen servieren. Und mit zwei Flugsimulatoren sowie einem Golfsimulator – für die gediegene Abendunterhaltung.

Kampf gegen bürokratische Hürden

Auch die Gäste kommen hauptsächlich aus der Schweiz. Es sind junge Ärztinnen und Ärzte, die von Dubs in mehrtägigen Kursen in Ultraschalldiagnostik unterrichtet werden. Im Keller des Hotels gibt es Seminarräume für die Theorie und Geräte für die praktischen Übungen. Dubs ist Spezialist auf diesem Gebiet, eine ungarische Zeitung nannte ihn «einen der Väter der europäischen Ultraschalldiagnostik». Zwei Tage pro Woche arbeitet er in einem Sonografie-Institut in Zürich. Dann fliegt er nach Budapest, steigt in den Intercity und ist in knapp vier Stunden im Hotel. Das Pendeln, sagt er, sei mittlerweile Routine.

An zwei weiteren Tagen pro Woche arbeitet er im Spital der südungarischen Stadt Szeged und kämpft dort gegen bürokratische Hürden: Durch die Sonografie von Säuglingshüften können bei Babys Fehlstellungen früh erkannt und behandelt werden. In der Schweiz und in fast allen europäischen Ländern ist diese Untersuchung Standard. In Ungarn nicht. Dubs würde das gerne ändern, aber «das Gesundheitssystem ist schon etwas anders hier». Mehr Erfolg hat er mit seinem eigenen Ultraschalltraining. Die Nachfrage steige jedes Jahr, freut er sich und will nun sein Hotel für andere Anbieter öffnen: Warum nicht einen Kurs in Sportmedizin? Oder ein Yoga-Seminar? Zuerst aber will er Schweizer Senioren das Leben in der Puszta schmackhaft machen. Deshalb entsteht neben dem Hotel eine Seniorenresidenz. Das Basispaket mit Wäscheservice und Verpflegung im Hotelrestaurant soll etwa 2700 Franken pro Monat kosten.


Die erste Pensionistenresidenz soll demnächst fertiggestellt werden. Foto: Andras D. Hajdu

Natürlich könne man in Thailand billiger leben, weiss Dubs: «Aber wer das Billige sucht, ist bei uns ohnehin falsch.» Was der Arzt plant, ist eine Art Seniorenkommune in der Puszta. Die Bewohner der Residenz sollen aktiv sein, ihr Leben selbst gestalten, Gemüse anbauen, Guetsli backen und ihre Produkte auf den Märkten der benachbarten Orte verkaufen. Sie sollen eine Gemeinschaft bilden und das Leben in der Region bereichern.

Dubs wollte eigentlich Pilot werden, studierte aber auf Wunsch seines Vaters Medizin, wurde Hausarzt in Winterthur, dann Ultraschallspezialist. Dass der Wunsch nach einem Wohnsitz in Ungarn immer stärker wurde, hat wohl mit den Vorfahren zu tun: Eine Grossmutter kam aus Budapest und wanderte zu Beginn des Ersten Weltkriegs in den Thurgau aus. Ungarisch musste Dubs zwar als Erwachsener erst lernen, aber die Dokumente der Grossmutter im Stadtarchiv Arbon halfen ihm bei der Einbürgerung in Ungarn. Heute ist er doppelter Staatsbürger.

Nach Südungarn kam er zum ersten Mal vor etwa zehn Jahren. Damals hatte er gerade Marta geheiratet, eine Ungarin, die seit über 30 Jahren in der Schweiz lebt. Gemeinsam suchten sie ein Wochenendhaus und fanden die Idylle im Akazienwald bei Csolyospalos. Bald kam das Kurszentrum dazu, dann das Hotel, nun die Seniorenresidenz.

Einen Businessplan hat Dubs nicht. Ein Konzept schon: Alles soll möglichst nachhaltig und umweltschonend sein. Gas und Öl gibt es nicht, die Öfen werden mit Holz aus den umliegenden Wäldern befeuert, das Wasser mit Sonnenkollektoren gewärmt. Gebaut und gearbeitet wird mit Schweizer Präzision, die 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen aus der Region. Dubs schwärmt von ihrem Arbeitseifer, ihrer Flexibilität. «Das sind Tausendsassas. Alle können alles.» Er sieht das Hotel als Beitrag, die Landflucht zu stoppen.

Katastrophale Zustände in Spitälern

Allerdings verlassen die jungen Ungarn ihre Heimatdörfer nicht nur, weil Arbeitsplätze fehlen. Auch die Frustration über die Regierungspolitik, die Korruption und die Vetternwirtschaft treibt sie ins Ausland. Ungarn erlebt derzeit die grösste Auswanderungswelle seit 1989. Und gerade jetzt sollen Schweizer Senioren einwandern? Mit Politik beschäftige er sich nicht, antwortet Dubs. Er wolle etwas bewirken, «und das kann ich hier». Er kennt die teilweise katastrophalen Zustände in ungarischen Spitälern, er wurde auch schon übers Ohr gehauen. Anderseits erlebt er bei seinen Mitarbeitern Arbeitsfreude und Einsatzwillen, wie er es aus der Schweiz nicht kennt. Deshalb ist er überzeugt, «dass es langfristig aufwärtsgeht».

In der Puszta ist die Sonne untergegangen, ein voller Mond beleuchtet den Dornröschenpark. Über den Schotterweg kriecht ein Kleinbus, der die Teilnehmer des nächsten Ultraschallkurses bringt: Sieben junge Ärztinnen und Ärzte aus der Schweiz und ein Arzt aus Ungarn. Der spricht fliessend Deutsch, sieht aber unglücklich aus, wenn die Kollegen ins Schwiizertüütsch wechseln. Dubs empfängt die Gäste und bringt sie zu ihren Zimmern. Drei Tage intensive Schulung stehen bevor, als Belohnung gibt es dann einen Flug im Airbus-Simulator. Demnächst will der Hausherr noch einen Helikoptersimulator installieren. «Natürlich bin ich ein Spinner», sagt Beat Dubs, «aber wenn schon, dann ein Edelspinner.»