Liechtensteins Regierung will Konsequenzen aus der Dokumenten-Affäre ziehen

23. Dezember 2011

Die Anwaltskanzlei Marxer fühlt sich zu Unrecht in eine politische Geschichte hineingezogen.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Eineinhalb Tage brauchte die renommierte Liechtensteiner Anwaltskanzlei Marxer & Partner, um auf die Vorwürfe gegen einen ihrer Rechtsanwälte und Partner zu reagieren. Dem Mann wird vorgeworfen, er habe Dokumente aus einer Hausdurchsuchung aus dem Gericht entwendet und erst sechs Wochen später zurückgegeben (TA von gestern).

Möglicherweise wurden die Papiere in dieser Zeit manipuliert. Da die Hausdurchsuchungen auf Ersuchen der österreichischen Staatsanwaltschaft stattfanden, schlägt der Fall nun in Österreich hohe Wellen. Denn die in Liechtenstein beschlagnahmten Unterlagen könnten Beweismaterial in den Ermittlungen gegen den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser und den Millionenerben eines Lebensmittelkonzerns, Julius Meinl, sein.

Der Anwalt der Kanzlei Marxer vertrat einen Steuerberater, der einerseits für Meinl tätig war, anderseits auch eine Funktion bei der Schweizer Briefkastenfirma Ferinthatte, über die Grasser illegale Provisionen verschoben haben soll. Ausserdem war der Anwalt in der Geschäftsleitung einer Grasser-Stiftung tätig. Da der Anwalt auch stellvertretender Abgeordneter der Fortschrittlichen Bürgerpartei Liechtensteins ist, hat die Affäre eine politische Dimension.

Gestern trat die Regierung zu einer Sondersitzung zusammen und beschloss dabei, die «bislang geübte Praxis der Akteneinsicht beim Landgericht zu prüfen», wie es in einer Pressemitteilung heisst. Liechtensteins Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren gegen den Anwalt ein, die Disziplinarbehörde der Rechtsanwaltskammer wurde verständigt. Die Regierung stellt die Affäre als Einzelfall mit «mutmasslichem Fehlverhalten» dar: Sie könne in keiner Weise «mit dem geltenden Rechts- und Politiksystem in Verbindung gebracht werden».

Experte will sich nicht äussern

Die Kanzlei Marxer bezeichnet alle Vorwürfe hingegen als «haltlos» und findet die Berichterstattung «tendenziös und unseriös». Die Beschlagnahme sei vom obersten Gerichtshof als unzulässig erklärt worden, deshalb habe der Anwalt die Unterlagen mitgenommen und sie seinem Mandanten ausgehändigt. Spekulationen über die angebliche Manipulation der Unterlagen entbehrten «jeglicher Grundlage». Die Kanzlei beruft sich auf den Wiener Strafrechtsprofessor Peter Lewisch, der den Sachverhalt geprüft und keine Verletzung des Strafrechts gefunden habe. Lewisch will diese Behauptung allerdings weder bestätigen noch dementieren: «Ich korrespondiere in dieser Sache nicht», schreibt er dem «Tages-Anzeiger».

Briefkastenfirma ist umgezogen

Der beschuldigte Anwalt selbst darf nicht mit den Medien sprechen, für ihn spricht Michael Oberhuber von Marxer & Partner, der dem TA erklärt, dass «unser Partner volles Vertrauten geniesst». Auf die Frage, warum die Regierung zu der Affäre eine Sondersitzung abgehalten habe, sagte Oberhuber: «Wir sind in eine politische Geschichte geraten, in die wir nicht hineingehören.»

Zufall oder nicht? Kurz nachdem der Anwalt der Kanzlei Marxer die Unterlagen wieder an das Gericht zurückgab, wurde Grassers Briefkastenfirma Ferint aus Effretikon abgesiedelt und umbenannt. Sie heisst seit zwei Wochen Sotavento und residiert bei einem Treuhänder in der Stadt Zürich. Sotavento ist der Name eines Strands auf der kanarischen Insel Fuerteventura.