Mit den Worten des Grosskonzerns

21. Juni 2017

Die Aargauer Kantonsregierung rechtfertigt in einer Interpellationsantwort die steueroptimierende Milliardentransaktion von General Electric. Auf eigene Argumente verzichtet sie dabei.


Für 8,1 Milliarden Franken «immaterielle Werte» gekauft: GE-Zentrale in Baden AG

Geht es um ihre Steuerpolitik gegenüber Grossunternehmen, hüllt sich die Kantonsregierung des Aargau eisern in Schweigen: kein Kommentar, Steuergeheimnis! Für einmal hat sie diese Regel gebrochen, auf eine Interpellation der SP-Fraktion im Grossen Rat geantwortet und dabei General Electric (GE) verteidigt: Der Konzern habe keinen Gewinn aus der Schweiz in ein anderes Land verschoben. Die Berichterstattung darüber sei unzutreffend und habe zu «falschen Schlussfolgerungen» verleitet. Bemerkenswert dabei ist: In ihrer Begründung argumentiert die Kantonsregierung exakt wie GE. In einigen Passagen wirkt die Antwort, als wäre sie Pressecommuniqués des Konzerns entnommen und nur leicht verändert worden.

Anfrage im Grossen Rat und Antwort der Regierung beziehen sich auf einen Bericht des «Bund» im Januar 2017: Darin wird beschrieben, wie GE innert einer Stunde seinen Gewinn in Ungarn vertausendfachte. Am 21. Dezember 2015 verkaufte die niederländische Firma GE Energy Europe ihre Schweizer Tochter GE Energy Switzerland an GE Hungary und kaufte sie eine Stunde später wieder zurück. In dieser Zeit kaufte die Schweizer Firma von den Ungarn Rechte an geistigem Eigentum (Intellectual property, kurz: IP-Rechte) für 8,1 Milliarden Franken und steigerte damit ihren Wert von 40 000 Franken auf 6,4 Milliarden Franken.

Ist PWC «unabhängig»?

Firmenintern bekam diese Transaktion den Codenamen «Sputnik». Insgesamt flossen dabei 14,5 Milliarden Franken nach Ungarn. Durch den Gewinnsprung kam GE in Ungarn in den Genuss eines sogenannten Expansions-Steuerkredits, der die Steuerzahlung um zwei Jahre aufschiebt und Steuererleichterungen ermöglicht. Ungarische Medien schätzten, dass GE die Steuerlast auf dem Gewinn auf 2 Prozent drücken könne. In der Schweiz hätte die Firma 18,5 Prozent zahlen müssen. Für 8,1 Milliarden Franken Gewinn wären das 1,5 Milliarden Franken gewesen. Die Aargauer Regierung widerspricht nun dieser Berechnung: Da «ein Kauf von IP-Rechten beim Käufer weder Ertrag noch Aufwand auslöst, sondern ausschliesslich in der Bilanz verbucht wird», sei der Schweiz keine Gewinnsteuer entgangen. Dass die IP-Rechte einen Verkehrswert von 8,1 Milliarden Franken hatten, sei durch eine unabhängige Institution bestätigt worden. Zudem habe GE den Gewinn in Ungarn zum ordentlichen Satz von 19 Prozent versteuert.

Also ging alles mit rechten Dingen zu? Die Formulierungen des Regierungsrats erinnern stark an Formulierungen, die GE verwendete, um die Transaktion zu rechtfertigen. Im Januar erklärte die GE-Pressestelle dem «Bund», dass «die Integration der GE- und Alstom-Geschäfte den Transfer verschiedener Assets in die Schweiz erforderlich machten». Die Aargauer Regierung schreibt nun, dass «die Verlegung beziehungsweise Integration der beiden Hauptsitze eine Anpassung der betroffenen GE-Geschäftseinheiten erforderlich machten». GE schrieb vor ein paar Monaten, dass die Finanztransfers «zu angemessenen Marktwerten vorgenommen und unabhängig verifiziert wurden». Die Aargauer Regierung behauptet, die Vermögenswerte seien «zum Verkehrswert» übertragen worden. «Der Verkehrswert wurde von einem unabhängigen Dritten, nämlich PricewaterhouseCoopers, bewertet.» Hat die Regierung einfach die Begründung von GE übernommen, ohne sie zu prüfen? Der «Bund» schickte eine Liste mit Fragen an den Regierungsrat. Der verweigerte Antworten. Begründung: Steuergeheimnis.

PricewaterhouseCoopers (PWC) ist heute Dienstleister für GE und kümmert sich um die Finanzgeschäfte des Konzerns weltweit. Die Partnerschaft wurde im Januar 2017 verkündet. Zum Zeitpunkt der Finanztransaktion liefen bereits Verhandlungen, wie der «Bund» erfuhr. Kann eine Bewertung durch PWC da noch als «unabhängig» bezeichnet werden? Der Regierungsrat gibt keine Antwort.

Auch die Behauptung des Regierungsrats, GE zahle in Ungarn «Milliarden» an Steuern, ist nicht neu. Im Interview mit dem «Bund» erklärte der Schweizer GE-Manager Michael Rechsteiner: «Ich kann nur sagen: Wir zahlen Milliarden Franken.» Genaue Zahlen gibt es bis heute nicht. Es kann sie noch gar nicht geben: Die Sonderbehandlung in Ungarn erlaubt es GE, Steuern für 2015 erst 2017 zu zahlen. In der Zwischenzeit wurde die Unternehmenssteuer von 19 auf 9 Prozent gesenkt.

Stellenabbau, auch in Ungarn

Die Behauptung des Regierungsrats, der Schweiz entgingen keine Steuern, wurde von GE selbst widerlegt – ebenfalls im Interview mit dem «Bund». Da erklärte Manager Michael Rechsteiner, dass GE Energy Switzerland für den Kauf der IP-Rechte firmenintern Kredite aufgenommen habe: «In Zukunft werden Steuern aufgrund des Geschäftsergebnisses in der Schweiz gezahlt. Die Zinsen für die Kredite werden abgezogen, aber die sind ja niedrig.» Wie hoch die Zinsen wirklich sind, bleibt Firmengeheimnis. Selbst wenn sie nur 1,5 Prozent betragen würden, müsste GE Energy Switzerland für einen Kredit über 8 Milliarden Franken 120 Millionen Franken Zinsen pro Jahr zahlen – und könnte den Betrag vom Gewinn abziehen.

Ein paar Monate nachdem GE Energy Switzerland 8,1 Milliarden für IP-Rechte an die GE Hungary gezahlt hatte, kaufte die Schweizer Firma die ungarische Firma gleich ganz. Wenige Tage später wurde sie an eine Briefkastenfirma im US-Steuerparadies Delaware verkauft. Der Aargauer Regierungsrat sieht den Grundsatz, Gewinne dort zu versteuern, wo sie entstehen, durch die Transaktion von GE nicht verletzt. Für SP-Grossrat Dieter Egli bleiben hingegen Fragen offen. Zum Beispiel, «ob solche Transaktionen Arbeitsplätze im Aargau schaffen?» Zur selben Zeit, als GE Milliarden nach Ungarn verschob, verkündete der Konzern Streichung von rund 900 Stellen in der Schweiz. «Die Veränderungen der Arbeitsstellen haben mit der steuerlichen Situation von GE nichts zu tun», meint der Aargauer Regierungsrat.

Auch Ungarns Volkswirtschaft wird keinen Nutzen aus den enormen Gewinnen von GE ziehen: Trotz niedriger Unternehmensbesteuerung wird der Konzern nun seine Beleuchtungssparte verkaufen. Ungarische Medien schätzen, dass bis zu 4000 Angestellte entlassen werden könnten.