Mut sieht anders aus

14. September 2012

Missbrauch: Das Kloster Fischingen lässt die Vorwürfe untersuchen.

 
Von Bernhard Odehnal

Das Thurgauer Kloster Fischingen will Licht ins Dunkel bringen. Vor knapp drei Monaten berichtete der TA zum ersten Mal über die Vorwürfe des ehemaligen Zöglings Walter Nowak, er sei im Kinderheim in den 60er- und Anfang der 70er-Jahre von einem Pater geschlagen und sexuell missbraucht worden. Jetzt will der Trägerverein des Klosters, der Verein St. Iddazell, die Vorwürfe von einer unabhängigen Stelle untersuchen lassen. Das klingt nach einem mutigen Schritt.

Aber Mut sieht anders aus. Denn untersucht werden nur Vorwürfe, die Vorgänge um 1970 betreffen, verlautbart die Klosterleitung. Beim TA meldeten sich aber auch ehemalige Zöglinge, die von Missbrauch in den 60er- und 50er-Jahren berichteten. Wird diese Zeit nicht unter die Lupe genommen? Und wie wird der Verein reagieren, sollte eine unabhängige Stelle die Vorwürfe bestätigen?Bisher glaubte der Klosterdirektor, persönliche Gespräche mit Betroffenen sexueller Gewalt würden genügen. Finanzielle Entschädigung lehnte er ab. Hat sich das geändert? Leider verweigern die Vereins- und die Klosterleitung das Gespräch mit dem TA. Auch Transparenz sieht anders aus.

Wenig Interesse an Vergangenheitsbewältigung zeigt auch die Bischofskonferenz der katholischen Kirche. Der Fall Fischingen wäre Gelegenheit, das Thema Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen offensiv anzugehen und die Geschichte aller Kinderheime und Klosterschulen untersuchen zu lassen. Doch die Bischöfe tun, als ginge sie das nichts an.

Ein Blick über die Grenze würde ihnen zeigen, wohin diese Haltung führt. In Österreich begann die Diskussion über sexuellen Missbrauch Mitte der 90er-Jahre mit dem Skandal um Kardinal Hans-Hermann Groer. In den folgenden Jahren wurden immer mehr Fälle bekannt, doch die Kirchenführung gab nur das zu, was nicht mehr abzustreiten war. Eine Ombudsstelle und eine unabhängige Kommission wurden zwar eingerichtet. Dennoch haben Betroffene und viele Gläubige bis heute den Eindruck, dass die Kirchenführung die Aufklärung boykottiert. Und sie ziehen die Konsequenzen: Jedes Jahr treten zwischen 50 000 und 60 000 Österreicher aus der Kirche aus.