«Orthodoxe Religion spielt eine grosse Rolle»

7. Dezember 2012

Der Politologe Cristian Pîrvulescu sagt, Rumänien fehle eine demokratische Gesellschaft - dies auch, weil die Kirche den Menschen Unterwerfung predige.

Mit Cristian Pîrvulescu sprach Bernhard Odehnal in Bukarest


Cristian Pîrvulescu. Foto: B. Odehnal

Wie kann die Krise der rumänischen Politik überwunden werden?

Ohne Reform der Verfassung ist das kaum möglich. Wenn Victor Ponta mit grosser Mehrheit gewinnt und vielleicht die Partei der ungarischen Minderheit als Partner gewinnt, kann er diese Reform beschliessen.

Er würde die Verfassung zu seinem Vorteil ändern?

Ponta sagt, er will die Macht des Staatspräsidenten begrenzen. Aber das kann nicht alles sein. Diese Verfassung aus dem Jahr 1991 hat viele Schwächen. Wir müssen über die Stärkung der Demokratie reden, zum Beispiel über Volksabstimmungen. Derzeit können diese nur vom Präsidenten beschlossen werden. Leider sind die Parteien aber nicht an einer Debatte über demokratische Reformen interessiert.

Nach den Wahlen vom Sonntag könnte der Machtkampf zwischen Regierungschef und Präsident in die Verlängerung zu gehen.

Ja. Diese Machtspiele sind sehr gefährlich für Rumänien. Die Stabilität des Landes ist in Gefahr. Im Moment spielen rechte Populisten keine Rolle. Aber das kann sich ändern, denn die grossen Parteien benutzen die Populisten für ihre Zwecke. Zum Beispiel Gigi Becali: Der ist schlimmer, als es Jörg Haider in Österreich war. Und jetzt ist er Teil von Pontas Sozialliberaler Union.

Pontas Sozialdemokraten werden beschuldigt, politische Säuberungen durchzuführen und Rumänien aus der EU führen zu wollen.

Ich halte solche Anschuldigungen für übertrieben. Aber natürlich haben die Sozialdemokraten eine Tradition der Korruption. So wie andere Parteien auch. Es gibt in Rumänien keine Ideologien. Wir haben hier nur Konföderationen lokaler Clans. Wir haben auch keine demokratische Traditionen. Nicht einmal zwischen dem Ersten und dem Zweitem Weltkrieg gab es in Rumänien eine Demokratie. Da spielt die orthodoxe Religion eine grosse Rolle, weil sie die Unterwerfung predigt. Orthodoxe Gläubige akzeptieren die Autorität des Priesters und die Autorität des Staates.

Seit dem Ende des Kommunismus sind 23 Jahre vergangen. Reichte diese Zeit nicht, um ein demokratisches Bewusstsein zu schaffen?

23 Jahre sind viel zu wenig. Wir brauchen 60 Jahre oder länger. Auch im Westen wurde die Demokratie nicht von einer Generation aufgebaut. Eine Demokratie braucht eine demokratische Gesellschaft. Die haben wir noch nicht.

Wäre es in dieser Situation nicht besser, die zwei grossen politischen Blocks würden nach den Wahlen zusammenarbeiten?

Derzeit ist das nicht möglich, das würde zu einem endlosen Konflikt führen. Es wäre besser, wenn Ponta eine klare Mehrheit bekäme und die Verfassung ändern könnte. Er würde die Mehrheit ohnehin nicht zu lange halten können, auch er wird ein Sparprogramm umsetzen müssen. Er hat keine Alternative.