Peter Spuhler baut in Österreich eine Himmelstreppe

17. Dezember 2012

Gestern übergab Peter Spuhler in Sankt Pölten den ersten Zug an die neue Mariazellerbahn - dabei geriet der Chef und Mehrheitsaktionär von Stadler Rail ungewollt in den Wahlkampf von Niederösterreich.

Von der Bühne ertönt Trommelwirbel, über dem Gleis wabert Theaternebel. Dann wird der Zug in die Halle geschoben, eine Komposition aus Grau und Gold mit der Aufschrift «Die Himmelstreppe». Das Publikum applaudiert, der Moderator bejubelt die «neue Zeitrechnung, die für Niederösterreich anbricht». Am Bühnenrand steht Peter Spuhler und ist stolz. Die Himmelstreppe ist der erste Zug, den Stadler Rail für die Schmalspurbahn von Sankt Pölten nach Mariazell gebaut hat. Weitere acht Züge und vier Panoramawagen folgen nächstes Jahr. Insgesamt gibt das Land Niederösterreich 78,5 Millionen Franken für die neuen Fahrzeuge aus.


Peter Spuhler (links) und die niederösterreichische Landespolitik. Copyright: Heribert Corn

Niederösterreichs Verkehrschef Karl Wilfing kündigte an der Präsentation des Stadler-Zugs im Bahnhof Laubenbachmühle Österreichs «modernste, sicherste und schönste Bahn» an. Vorher, schränkte der Politiker ein, «müssen wir aber noch überprüfen, ob die Schweizer ordentlich gearbeitet haben».

Ein technologischer Zeitsprung

Nun geht die Himmelstreppe auf Probefahrt, im März soll sie die Zulassung erhalten. Ihr Name bezieht sich auf die steile Bergfahrt der Züge bis zum Wallfahrtsort Mariazell auf 900 Meter über Meer. Ein besonders anspruchsvoller Auftrag sei es gewesen, sagt Stadler-Chef und Mehrheitsaktionär Spuhler. Zwar fahren klimatisierte Niederflurzüge des gleichen Typs schon in der Schweiz. Da aber die Gleise der Mariazellerbahn nur 76 Zentimeter breit sind (statt einem Meter wie in der Schweiz), musste die gesamte Antriebstechnik verändert werden.

Für die Mariazellerbahn sei die Himmelstreppe ein gewaltiger Sprung vorwärts, sagte der Verkaufsleiter von Stadler Rail Urs Wieser: «Vom 19. direkt ins 21. Jahrhundert.» Noch heute fahren auf der Bergstrecke Lokomotiven aus dem Jahr der Elektrifizierung: 1911. Damals war die Bahn, die es mit zahlreichen Viadukten und Tunneln durchaus mit der Bündner Albulalinie aufnehmen kann, eine der ersten unter Strom in Europa. Danach wurde indes kaum noch investiert, die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) liessen Gleise und Wagen verfallen. Heute brauchen Züge für die 84 Kilometer von Sankt Pölten nach Mariazell mindestens zweieinhalb Stunden.

Volksfest mit 2000 Besuchern

2010 kaufte das Land Niederösterreich die Strecke von den ÖBB und will sie zum Vorzeigeprojekt machen, das Wirtschaft und Tourismus ankurbelt. Landeshauptmann Erwin Pröll spricht von einer «grossen Chance» für die Region. Gleichzeitig werden jedoch eine Nebenlinie der Mariazellerbahn und andere Regionalbahnen eingestellt. Investitionen in die Bahn sind in Niederösterreich die Ausnahme. Das Land baut lieber für Hunderte Millionen Euro neue Autobahnen und Umfahrungsstrassen.

Für Spuhler ist die Präsentation neuer Züge Alltag. Doch in Laubenbachmühle erlebt er statt des normalen Rollouts ein Volksfest. Mit 2000 Besuchern, viele in den traditionell graugrünen Trachtenanzügen. Mit Adventsbuden und sechsstündigem Unterhaltungsprogramm. Auf der Bühne jodelt der Schweizer Schlagerstar Francine Jordi, vor dem Bahndepot spielt Blasmusik. Allerlei Cervelatprominenz ist da («Jö, schau - da geht der Niki Lauda!»), ein katholischer und ein protestantischer Bischof geben dem Zug Gottes Segen. Das Lokalradio überträgt live.


Die erste «Himmelstreppe» im neuen Depot Laubenbachmühle. Copyright: Heribert Corn

Dass die Himmelstreppe mit so grossem Aufwand vorgestellt wird, liegt nicht nur an der Begeisterung für Schweizer Technik. Im März wählt Niederösterreich ein neues Parlament, und der allmächtige «Landesfürst» Pröll ist bereits mitten im Wahlkampf. Kein Festredner will (oder darf) deshalb auf Dankesworte an Pröll und ein Lob für dessen Weitsicht verzichten. Zeitweise bekommt die Veranstaltung den Charakter einer Heiligenverehrung.

Der Direktor der Betreibergesellschaft Növog überreicht Pröll ein Modell der Himmelstreppe mit den Worten: «Die ganze Region bedankt sich bei dir.» Danach dürfen sich alle Lokalpolitiker rund um Pröll vor den Zug zum Gruppenfoto aufstellen. Das Gedränge ist gross. Die «Dirndlkönigin» und ein als Christkind geschmücktes blondes Mädchen müssen auch noch aufs Bild. Spuhler bleibt etwas abseits, wirkt überrascht von der Wucht der Inszenierung. Dann stellt auch er sich zur Gruppe und legt Pröll die Hand auf die Schulter.

Türöffner für Grossauftrag?

Für Stadler Rail könnten die Niederösterreicher die Tür zu einem weit grösseren Auftrag öffnen. Die Staatsbahn ÖBB braucht neue Züge für die S-Bahn in Wien und Niederösterreich, ein Rahmenvertrag mit Siemens über 100 Züge für 600 Millionen Euro war bereits unterzeichnet. Doch Anfang Monat stoppte der ÖBB-Verwaltungsrat den Deal. Sollten die Züge 2013 neu ausgeschrieben werden, willSpuhler mit ins Rennen gehen. Und als Mitfinanzierer der Züge hätte Niederösterreich bei der Typenwahl einiges mitzureden.

Von einer anderen österreichischen Bahn kann Spuhler schon jetzt gute Nachrichten nach Hause nehmen. Die Probleme der Triebzüge auf der privaten Westbahn mit wackelnden Türen bei hohen Geschwindigkeiten konnten behoben werden. Die Stadler-Züge dürfen ab sofort wieder mit Tempo 200 durch die Tunnel fahren.