Plakate unter Beschuss

12. Juni 2015

Die Regierung in Budapest verstärkt ihre Kampagne gegen ­Flüchtlinge. Sie stösst auf Widerstand und Spott. 

Die alte Bergwerkssiedlung Hösök tere am Rand der südungarischen Stadt Pécs kennt viele Probleme: die Schliessung der Minen, die hohe Arbeitslosigkeit, die Abwanderung und die Verarmung der verbliebenen Bewohner. Asylbewerber aus dem arabischen Raum oder Afrika aber sind hier völlig unbekannt. Flüchtlinge habe sie noch nie gesehen, sagt eine Frau im Elendsviertel. 


«Wenn Sie nach Ungarn kommen, müssen Sie die Gesetze befolgen»: Regierungplakat in einem entlegenen Vorort der Stadt Pécs. Foto: B. Odehnal

Das hält die ungarische Regierung nicht davon ab, in Hösök tere ein riesiges Plakat mit einer Botschaft für Asylbewerber anzubringen: «Wenn Sie nach Ungarn kommen, müssen Sie die Gesetze befolgen.» Das ganze Land wird in diesen Tagen mit den Plakaten überzogen: «Wenn Sie nach Ungarn kommen, dürfen Sie den Ungarn nicht die Arbeit wegnehmen.» Oder auch: «. . .,   müssen Sie die Kultur respektieren.» 

Jene Menschen, die es im Laderaum eines Camions oder zu Fuss über die grüne Grenze bis Ungarn geschafft haben, werden sich von den weissen Buchstaben auf tiefblauem Grund kaum beeindrucken lassen. Sie werden gar nicht wissen, dass sie gemeint sind. Denn die Plakate sind ausschliesslich auf Ungarisch verfasst. Die ehemalige Unterrichtsministerin Rózsa Hoffmann findet das überhaupt nicht irritierend. Die Flüchtlinge würden ja die Botschaft auf den Bildern verstehen, beantwortet die Abgeordnete der Regierungspartei Fidesz die Frage eines ungarischen Reporters. Bloss: Auf den Plakaten der Regierung gibt es keine Bilder. 

Fragen zu Flucht und Terror 

Die linke Opposition und Bürgerrechtsgruppen kritisieren die Kampagne scharf: Sie solle lediglich ungarische Wähler ansprechen, um diese gegen Zuwanderer und Asylbewerber aufzuhetzen. Tatsächlich machen die Plakate Werbung für die sogenannte «nationale Konsultation über Flüchtlinge und Terrorismus», die noch bis Ende Juni läuft. 

Anfang Mai verschickte die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban Fragebögen an alle acht Millionen Wähler, in denen in insgesamt zwölf Fragen die Themen Flucht und Terrorismus verknüpft werden. 

Unter anderem werden die Ungarn gefragt, ob sie der Meinung «gewisser Leute» zustimmen, dass das Missmanagement der Einwanderungspolitik in der EU etwas mit der Zunahme terroristischer Aktivitäten zu tun habe. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, kritisierte die Fragebögen als «böse und falsch», das EU-Parlament verurteilte diese Woche Orbans Bürgerbefragung als «irreführend und mit Vorurteilen behaftet». 

Die Umfrage wurde lanciert, kurz nachdem Fidesz eine Nachwahl zum Parlament gegen die rechtsextreme Jobbik verloren hatte. Offenbar will Fidesz nun die Themen der Rechtsextremen übernehmen: In einer Rede warnte Orban vor der Zerstörung des christlichen Europas durch die Immigration. 

Ohne den Ausgang der Befragung abzuwarten, will die ungarische Regierung noch vor dem Sommer die Asylgesetze radikal verschärfen, sodass Inhaftierungen von Asylbewerbern und schnelle Ausschaffungen möglich werden. Ungarische Medien berichteten auch von Plänen, an der Grenze zu Serbien einen Zaun mit ­Videoüberwachung zu er­richten. 

Keine Leber für Ungarn 

Orbans Gegner wollen das nicht widerstandslos hinnehmen. Erstes Ziel ihres Protests sind die umstrittenen Plakate. Blogger haben im Internet eine interaktive Landkarte (www.zeemaps.com/map?group=1485171gebastelt, auf der alle Standorte in Ungarn und der Zustand der Plakate eingetragen sind: unbeschädigt/verändert/zerstört. Aktivisten der Opposition verändern die Plakate, indem sie Buchstaben oder einzelne Wortteile übermalen und so neue Satzkonstruktionen im Dada-Stil erschaffen: «Ungarn ist es nicht gestattet, Leber zu essen.» 

Die Angriffe sind so massiv, dass die Regierung die Plakate von uniformierter Polizei und versteckten Fahndern be­wachen lässt. Sechs Aktivisten, die der links-alternativen Partei Együtt (Gemeinsam) nahestehen, wurden festgenommen. Daraufhin stellten sich zwei weitere Aktivisten freiwillig. Mittlerweile werden die Plakate aus sicherer ­Distanz mit Eiern und Farbbeuteln beworfen. Együtt verteidigt die Aktionen als Schutz der Verfassung, die Hetze gegen Minderheiten verbiete. 

Regierungssprecher Zoltan Kovacs forderte die Bevölkerung auf, sich nicht über die Kampagne lustig zu machen. Und die Linke müsse die Zerstörungen sofort beenden. 

Doch mit jedem Polizeieinsatz wird der Widerstand grösser und kreativer. Die Spasspartei «Ein Hund mit zwei Schwänzen» sammelte mehrere Millionen Forint und druckt damit nun Gegenplakate, mit Botschaften auf Englisch: «Willkommen in Ungarn» und «Entschuldigung für unseren Premier­minister». 

Ungarn zählte im vergangenen Jahr 40 000 Flüchtlinge, dieses Jahr wird mit deutlich mehr gerechnet. Allerdings will niemand bleiben, alle wollen weiter nach Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien. 

Der Ausschuss gegen Rassismus und Intoleranz (Ecri) des Europarats kritisiert in seinem jüngsten Bericht die ­Asylpolitik der ungarischen Regierung: Über 20 Prozent der Asylsuchenden lebten in geschlossenen Lagern unter harten Bedingungen und würden von den Bewachern misshandelt. Sie hätten kaum Zugang zu Rechtsanwälten und Hilfsorganisationen. Der Bericht erschien noch vor der nationalen Konsultation; die Regierung entgegnete, dass der Europarat mit falschen Informationen und Zahlen arbeite. 

Ein deutsches Gericht entschied, dass Ungarn kein sicheres Drittland sei und Rückführungen dorthin deshalb nicht zulässig seien. Österreichs Innenministerin kündigte hingegen an, im Sommer Flüchtlinge nach Ungarn abzuschieben, um das Problem der Unterbringung zu lösen. Österreich erwartet dieses Jahr bis zu 70 000 Asylbewerber und hat bereits mit dem Aufbau von Zeltstädten begonnen.