Prozess gegen einen Toten

15. April 2015

Rachat Alijew, der ehemalige Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten, soll zwei Bankmanager ermordet haben. Doch vor ein paar Wochen starb er in Wiener Untersuchungshaft. Am Dienstag hat das Gerichtsverfahren gegen zwei Mitangeklagte begonnen.

Einen solchen Aufwand sieht man im Wiener Landesgericht selten. Eine solche Inszenierung noch seltener. Zum ersten Mal mussten die Prozessbeobachter auf dem Weg zum grossen Schwurgerichtssaal gleich durch zwei Sicherheitsschleusen gehen. Überwacht wurden sie dabei von der Spezialeinheit Wega der Polizei, die mit Hunden und Sturm­gewehren Wache hielt. Die Sicherheitsmassnahmen waren offenbar auch als Botschaft gemeint: Das ist ein besonders heikles Verfahren, aber die österreichische Justiz hat alles im Griff.

Tatsächlich steht der Prozess, der gestern in Wien begonnen hat und bis Juni dauern soll, unter keinem guten Stern. Ihm fehlt der Hauptangeklagte. Rachat Alijew, Oligarch, Botschafter Kasachstans sowie ehemaliger Schwiegersohn des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, wurde vor sechs Wochen tot in seiner Zelle in österreichischer Untersuchungshaft gefunden. Die Zelle wurde zwar rund um die Uhr beobachtet. Trotzdem soll es ihm gelungen sein, sich in der Nacht zu erhängen. Alijews Angehörige und seine Verteidiger zweifeln diese Version des österreichischen Justizministeriums (das sich dabei auch auf ein Gutachten aus Zürich stützt) an. Sie vermuten, dass Alijew entweder ermordet oder schwer unter psychischen Druck gesetzt und in den Suizid getrieben wurde.

Auf der Anklagebank im Wiener Landesgericht sassen die zwei Mitangeklagten: der ehemaliger Leibwächter Wadim K. und der ehemalige Geheimdienstchef Alnur M. Doch der Tote war im eineinhalbstündigen Eröffnungsvortrag der Staatsanwaltschaft ständig präsent. Auf einer riesigen Leinwand über der Richterbank wurden Fotos des verstorbenen Angeklagten projiziert. Alijew alleine, Alijew mit Familie. Sein ehemaliger Verteidiger, Manfred Ainedter, reagierte sehr verärgert auf das, was er «Aktionismus» nennt.

Leichen in Säure aufgelöst

Dem Toten und seinen lebenden Mitangeklagten wird vorgeworfen, Anfang 2007 in der kasachischen Hauptstadt Astana die Manager der Nurbank, Scholdas Timralijew und Ajbar Chasenow, entführt, gefoltert und ermordet zu haben. Die Leichen wurden in Säure aufgelöst und in Fässern vergraben. Sie wurden 2011 auf einer Deponie ausserhalb der Stadt entdeckt. Nurbank gehörte Alijew, und er verdächtigte die Manager, Bankvermögen veruntreut zu haben. Die Anklage behauptet, er habe die beiden zwingen wollen, ihm ihre Anteile zu übertragen.

Alijew war damals mit Dariga, der ältesten Tochter Präsident Nasarbajews, verheiratet und einer der reichsten Männer Kasachstans. Ihm und seiner Frau gehörten die Bank, Fabriken und ein Fernsehsender. Dass er schon als neuer Präsident gehandelt wurde, war dem alten Nasarbajew dann doch zu viel Macht in fremden Händen. Rachat Alijew fiel in Ungnade.

Im Februar 2007 wurde er als Botschafter nach Wien geschickt, später aller Ämter enthoben. Seine Frau liess sich von ihm scheiden, die drei gemeinsamen Kinder sagten sich von ihm los.

Doch Alijew hatte Vermögen, und damit öffnete er in Österreich so manche wichtige Tür. Überraschend schnell bekam er die Aufenthaltsbewilligung und eine Wohnadresse – ausgerechnet beim heutigen Justizminister Wolfgang Brandstetter, der damals sein Anwalt war. Alijew kaufte Immobilien in Österreich und leistete sich die teuersten und bestvernetzten Anwälte.

Aber auch für die Gegenseite spielt Geld keine Rolle. Nursultan Nasarbajew, der sich vom kasachischen Parlament zum «Präsidenten auf Lebenszeit» wählen liess, kauft sich internationale Spitzenpolitiker wie andere Joghurt im Supermarkt. Auf seiner Gehaltsliste als Berater stehen oder standen prominente Sozialdemokraten wie der ehemalige britische Regierungschef Tony Blair und der ehemalige EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, Deutschlands Ex-Innenminister Otto Schily, Polens Ex-Präsident Aleksander Kwasniewski und Österreichs ehemaliger Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Kasachstan wird autoritär regiert, Regimekritiker und unabhängige Journalisten verschwinden schnell in den Gefängnissen des Geheimdienstes. Aber Kasachstans Öl- und Gasvorräte gehören zu den grössten der Welt. Mit den Einnahmen aus den Rohstoffgeschäften kauft sich der Präsident internationale Anerkennung.

Propaganda aus Kasachstan

Im Fall Alijew setzt das kasachische Regime alle Hebel in Bewegung, um in Österreich bei Medien, Politik und Öffentlichkeit Stimmung gegen den in Ungnade gefallenen Schwiegersohn zu machen. Als Privatkläger tritt ein Verein Tagdyr (Schicksal) auf, den die Witwen der ermordeten Banker gründeten. Hinter dem Verein soll der kasachische Geheimdienst stehen. Als Anwalt wurde Gabriel Lansky engagiert, ein persönlicher Freund des Nasarbajew-Beraters Gusenbauer. Laut Medienberichten bekam Lansky für seine Dienste in fünf Jahren fast 15 Millionen Euro aus Kasachstan. Damit bezahlte er in Österreich unter anderem eine PR-Agentur, die unter falschen Identitäten in den Foren grosser Medien Kommentare gegen Alijew schrieb. Gegen Lansky ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Geheimnisverrats. Ebenfalls ermittelt wird gegen zwei österreichische Kriminalbeamte und eine Staatsanwältin. Auch sie sollen Informationen über Alijew an nicht befugte Personen weitergegeben haben.

Beide Seiten arbeiteten in Österreich mit wenig Information und viel Desinformation: Journalisten wurden auf ­Reisen eingeladen, brisante Dokumente wurden aus dem Hut gezaubert, die Schuld oder Unschuld beweisen sollten, Gerüchte wurden in die Welt gesetzt. Wer mit dem Fall Alijew in Berührung kam, «lief unweigerlich Gefahr, instrumentalisiert, kompromittiert oder denunziert zu werden», schrieb ein Journalist des österreichischen Nachrichtenmagazins «Profil», der sich fast zehn Jahre lang mit dem Fall befasste.

Im Juni 2014 wurde Alijew auf dem Wiener Flughafen verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Das Auslieferungsbegehren Kasachstans lehnte die österreichische Justiz ab: Ein fairer Prozess sei nicht zu erwarten. Nun muss die Republik Österreich für ein bizarres Verfahren zahlen, in dem sie eigentlich gar keine Rolle spielt. Und acht Wiener Geschworene sollen herausfinden, was wirklich in jenen Tagen des Jahres 2007 im 4500 Kilometer entfernten Astana geschah, als zwei Bankmanager verschwanden und später als säurezersetzte Leichen in Fässern wieder auftauchten.

27 Prozesstage sind vorerst angesetzt, vielleicht werden es auch noch mehr, denn es sollen 60 Zeugen gehört werden, zum Teil per Videoschaltung. Grossteils sollen sie aus Kasachstan eingeflogen werden, dafür wurde extra ein Reisebüro engagiert. 10 Dolmetscher werden aus dem Russischen übersetzen. Am ersten Tag betonte die Staatsanwältin, dass die Anklage auf österreichischen Ermittlungen basiere und Kasachstan keinen Einfluss genommen habe. Sie warnte die Geschworenen, dass sich das alles wie ein Hollywoodfilm anhöre: «Ich muss Ihnen aber leider sagen, dass diese Dinge passiert sind.» Die Verteidigung bezeichnete die Anklage als «konstruierte Lügengeschichte», Zeugen könnten womöglich in Kasachstan gefoltert worden sein. Ein Verteidiger lässt das Bild Nursultan Na­sarbajews auf die Leinwand im grossen Schwurgerichtssaal in Wien projizieren und nennt ihn den «Chef einer Bande».