Renato S. will in Wien nur 20- bis 30-mal «Puber» gesprayt haben

24. Juli 2014

Die Staatsanwaltschaft wirft dem 30-jährigen Sprayer vor dem Landesgericht insgesamt 232 Straftaten vor. 

Mit Schnörkel oder ohne? Unterstrichen oder nicht? Kleines oder grosses E, geschwungenes oder gerades R? Stundenlang ist gestern diese Frage im heissen Verhandlungssaal 203 im Wiener Landesgericht diskutiert worden. Die Antworten entscheiden darüber, ob der Schweizer Renato S. ins Gefängnis muss und wenn ja, wie lange.


Renato S. vor Gericht. Foto: B. Odehnal

Der 30-jährige S., Sohn eines Schweizers und einer Brasilianerin, wird beschuldigt, in Wien den Schriftzug «Puber» an Hauswände, Tore und Mauern gesprayt zu haben. S. kam im Frühjahr 2013 aus Zürich nach Wien, wo er Unterschlupf in der Wohnung seiner Schwester fand. Im März dieses Jahres wurde er von der Wiener Polizei verhaftet. Die Beamten fanden ihn auf dem Dach oberhalb einer Wohngemeinschaft von Sprayern, wo er im Kamin einen Laptop verstecken wollte.

«Den Stempel aufgedrückt»

Staatsanwalt Markus Berghammer wirft S. vor, er habe einen Schaden von weit über 50 000 Euro verursacht. Darauf steht eine Haftstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. S. habe «der Stadt seinen Stempel aufgedrückt», sagt Berghammer. Auch in der Schweiz würde ein Ermittlungsverfahren wegen Sachbeschädigung von 2004 bis 2011 laufen, «das hat ihn offenbar bewogen, nach Österreich zu kommen».

Gemeldet war S. in Wien allerdings nie. Er arbeitete ab und zu bei einer Securityfirma, seinen monatlichen Verdienst gibt er mit 500 Euro an. Seit fast einem halben Jahr sitzt er in Untersuchungshaft. Den Antrag auf Freilassung mit Fussfessel lehnte das Gericht ab.

An die 40 Privatbeteiligte haben sich dem Prozess angeschlossen. Es sind Hauseigentümer, Hausverwalter, Versicherungen, die Bundesbahnen, die Gemeinde Wien, die Wiener Verkehrsbetriebe. Sie alle geben einen Schaden an, der durch den Sprayer Puber verursacht worden sei. Aber kann dafür Renato S. verantwortlich gemacht werden?

In dem Verfahren geht es nicht nur um die Schuld eines Einzelnen, sondern um die grundsätzliche Frage, inwieweit einzelne Graffiti oder Tags einem einzelnen Täter zuzuordnen sind. Der erste Verhandlungstag macht klar, dass das ziemlich schwierig, fast unmöglich ist.

Zwei Vergehen sind sicher

Renato S. bekannte sich gestern «teilweise schuldig», er habe «etwa 20- bis 30-mal ‹Puber› gesprayt», sagte er. In zwei Fällen konnte er seine Tat schwer abstreiten: Einmal wurde er von einem Kellner auf frischer Tat ertappt und zeigte seinen Ausweis her. In einem anderen Fall wurde er von einer Kamera gefilmt. Der Staatsanwalt aber listete in seinem Strafantrag insgesamt 232 Fälle auf, und die muss der Richter einzeln durchgehen. Es ist mühevolle Kleinarbeit, die alle Beteiligten schnell ermüdet. Häufig sagt S.: «Das war ich nicht», öfter aber auch: «Das könnte ich gewesen sein.»

Das Problem bei der Verhandlung: Der durch den Schriftzug «Puber» entstandene Schaden ist objektiv schwer zu bewerten. Einmal gibt eine Hausverwaltung 3000 Euro an, ein anderes Mal 314 Euro – für die Entfernung annähernd gleich grosser Schriftzüge. Mehrmals schüttelt Richter Wilhelm Mende den Kopf, als könnte er den behaupteten Betrag für Reinigungskosten nicht glauben. Dann wieder geht es um Minimalbeträge, einmal um 20 Euro.

Ist «Puber» nur ein Schriftzug?

Ein anderes Problem für den Richter ist, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, vorsichtig gesagt, ziemlich schlampig wirken. 230 Schadenfälle sind in der Anklageschrift angeführt, einige jedoch doppelt. Bei anderen gibt es gar keinen Schaden. Wieder andere sind eine Anhäufung von Graffiti, «Puber» ist da eines von vielen. «Es gab eindeutig mehrere Verursacher. Aber nur mein Mandant kommt jetzt zum Handkuss», sagt Verteidiger Philipp Bischof. Er bezeichnet den Strafantrag als «Zumutung für das Gericht und die Verteidigung».

Bischof hofft auf einen Teilfreispruch. Einen Sprayer namens Puber «gibt es nicht», sagt der Verteidiger. «Puber» sei nur ein Schriftzug, «der von vielen in der Szene verwendet wird.» Das Gericht verliert sich am ersten Verhandlungstag in Details, was nun S. genau zuzuordnen sei und was nicht. 77 Zeugen sind zu befragen. S. schrieb «Puber» mit einem grossen P und kleinem e. Der Schriftzug nur in Blockbuchstaben stamme nicht von ihm, sagt der Angeklagte. Sonst sagt er nicht viel. Der Staatsanwalt klagt, dass Renato S. bei den Ermittlungen weder mit ihm noch mit dem Richter je gesprochen habe.

Die Anklage stützt sich auf ein Gutachten, das die Schriften an den Wänden mit dem einzigen Schriftzug vergleicht, der S. nachgewiesen wurde. Doch der Gutachter wurde nicht als Zeuge geladen. Im Verfahren scheint der Richter S. manchmal sogar helfen zu wollen. «Machen Sie solche Herzen bei Ihrem Schriftzug», fragt er S. Nein? Dann könne er es in diesem Fall nicht gewesen sein.

Der Prozess wird heute fortgesetzt, am Nachmittag wird das Urteil erwartet. In einem anderen Verfahren wurde gestern in Wien ein englischer Sprayer zu vier Monaten unbedingter Haftstrafe verurteilt. Der Mann hatte sich schuldig bekannt.