Rote Karten für Zeman

22. November 2014

Tschechiens Präsident Milos Zeman hat ein Faible für Schnaps und derbe Schimpfworte und eine Vorliebe für die Regimes in Russland und China. Dass ihn seine Landsleute dafür mit Eiern bewerfen, lässt ihn kalt.

«Ich habe keine Angst vor euch.» Wenn sich ein Staatschef im eigenen Land mit solchen Worten an das Publikum wendet, hat er wohl ein Problem. Tschechiens Präsident Milos Zeman wusste schon, was ihm blüht, als er zum Jahrestag der Samtenen Revolution im Prager Zentrum zum Mikrofon griff: Vor ihm standen Tausende junge Menschen, die mit grossen roten Karten winkten, pfiffen und schrien. Auch auf die folgenden Eierwürfe war Zemans Begleitung vorbereitet, schnell wurden Schirme aufgespannt, um den Präsidenten zu schützen. Pech für Zemans Ehrengast Joachim Gauck: Der deutsche Präsident bekam mehr von der Wut der Zuhörer ab als sein Gastgeber. Dabei war Gauck ganz ­sicher nicht gemeint.

Milos Zeman polarisiert das Land wie kein Präsident vor ihm. Nicht einmal sein Vorgänger, der bürgerliche EU-Skeptiker Vaclav Klaus, hat seine Gegner so erzürnt, dass sie zu Tausenden gegen ihn auf die Strasse gingen. Auf der anderen Seite hat Zeman aber auch viele ­Anhänger, vor allem in den Arbeiter­quartieren und auf dem Land, die ihm beinahe alles verzeihen würden.

Auf Distanz zu Havel

Der jüngste Konflikt um den Präsidenten entzündete sich an dessen Bewertung der Demonstration friedlicher Studenten am 17. November 1989, die von der Polizei brutal nieder geprügelt worden waren. Das Gerücht, es sei dabei auch ein Student getötet worden (es erwies sich später als falsch), trieb in den folgenden Tagen zehntausende Pragerinnen und Prager auf den Wenzelsplatz und führte zum Rücktritt der kommunistischen Regierung. Ende Dezember 1989 wurde der frühere Dissident Vaclav Havel zum Staatspräsidenten gewählt.

Zeman zeigte diese Woche nicht nur deutlich Distanz zu Havel und der ehemaligen Dissidentenbewegung. Er spielt auch die Bedeutung des Bürgeraufstands herunter: Die Studentendemonstration am 17. November 1989 sei nur eine von vielen gewesen, der Polizeieinsatz auch nicht brutaler als sonst. Natürlich wusste Zeman, dass er damit an ­einem Mythos kratzte: So wie seinem Vorgänger Klaus steht ihm die Lust an der Provokation ins Gesicht geschrieben. Immerhin fehlte ihm dann auch nicht der Mut, seinen Gegner am Jahrestag ins Gesicht zu sehen und ihren Eierwürfen standzuhalten. Zeman hielt seine Rede wie vorgesehen. Danach bezeichnete er die Demonstration gegen ihn als «Schande für die Tschechische Republik», kündigte aber gleichzeitig an, er werde die Organisatoren zu einem ­«Dialog» auf die Prager Burg laden.

Dass die Anhänger des ehemaligen Linken Zeman nicht gerade im linken oder liberalen Lager zu finden sind, war schon bei der ersten Volkswahl zum Staatspräsidenten im vergangenen Jahr klar. In Universitätsstädten wie Prag, Brno oder Olomouc hatte Zemans Konkurrent Karel Schwarzenberg die Nase vorn. Das reichte freilich nicht. Denn der bauernschlaue Zeman holte sich ­sowohl die Unterstützung orthodoxer Kommunisten als auch der bürgerlich-nationalistischen Anhänger seines Vorgängers Vaclav Klaus. Seither lässt der 69-Jährige keine Gelegenheit aus, kräftig ins Fettnäpfchen zu treten. Seiner von ihm selbst stolz verkündeten Leidenschaft für hochprozentige Getränke frönt er auch an der Spitze des Staates. Kurz nach seiner Vereidigung erschien er schwer betrunken bei einem Empfang des Prager Erzbischofs.

Schon als Regierungschef und Vorsitzender der Sozialdemokraten war Zeman nicht immer nüchtern. Er hatte jedoch stets behauptet, den Alkohol- und Zigarettenkonsum unter Kontrolle zu haben, und sich mit dem Whiskey trinkenden Winston Churchill verglichen. Adolf Hitler hingegen sei fanatischer ­Antialkoholiker gewesen, so Zeman. Eine Boulevardzeitung schätzte seinen täglichen Konsum einmal auf sechs ­Gläser Wein und drei Schnäpse. Wahrscheinlich war das nicht übertrieben.

Derb, aber nicht dumm

Zuletzt fiel der Präsident auch noch durch seine Fäkalsprache auf. In einem live übertragenen Radiointerview benutzte er Schimpfworte, die man nicht einmal auf den Prager Strassen hört. Zeman ist derb, aber er ist nicht dumm. Er verkörpert sogar sehr glaubwürdig einen Typus von Politiker, der besonders häufig in Osteuropa zu finden ist, der aber auch andernorts heimisch sein könnte: Er gibt sich bodenständig und kumpelhaft, aber nur, solange es seinen eigenen Zielen dient. Vorteile sind ihm wichtiger als Ideologien. Er wendet sich leicht im Wind.

So trat Zeman im Präsidentschaftswahlkampf noch als Freund der Europäischen Union an. Mittlerweile aber findet er immer mehr Gefallen an autoritären Regimes. China bewundert der tschechische Präsident für seine Wirtschaftskraft, den russischen Präsidenten lädt er jetzt nach Prag ein. Dass Wladimir Putin die Einladung annimmt, ist unwahrscheinlich und auch gar nicht so wichtig. Für Zeman zählt vor allem die Geste. Und die Provokation.

Keine Politik ohne Politiker

Die Provokation richtet sich vor allem gegen die Freunde und Anhänger des vor drei Jahren verstorbenen Vaclav Havel. Mit dessen Betonung von Moral und Menschenrechten und dem Konzept der «Politik ohne Politiker» konnte Zeman nie viel anfangen. Er war zwar ebenfalls Kritiker des kommunistischen Regimes und musste dafür berufliche Nachteile in Kauf nehmen. Ein Mitglied der Dissidentenbewegung Charta 77 war er jedoch nie. Havels Bürgerforum schloss er sich erst 1989 an.

Drei Jahre später wurde Zeman einer der ersten Vorsitzenden der neu gegründeten tschechischen Sozialdemokraten (CSSD) und 1998 für vier Jahre Ministerpräsident. Da ihn seine Partei jedoch bei den ersten Präsidentenwahlen gegen Vaclav Klaus nicht ausreichend unterstützte, verliess er die CSSD im Zorn und zog sich auf sein Landhaus in Südmähren zurück. Lange hielt er es dort allerdings nicht aus. 2009 gründete er die Partei der Bürgerrechte, die sich die «Leute Zemans» (Zemanovci) nannte.

Bei den Parlamentswahlen scheiterten die Zemanovci und ihr Chef kündigte abermals seinen Rückzug ins Private an. Tatsächlich trat er dann erfolgreich bei der Präsidentschaftswahl an. Zu seinem Amtsantritt kündigte er eine aktivere Rolle in der tschechischen Politik als Vorgänger Vaclav Klaus an. Diese Ankündigung setzt er nun kon­sequent um. Dass er dafür auch Rote Karten und faule Eier bekommt, scheint ihn nicht im Geringsten zu stören.