Rückkehr in die Hoffnungslosigkeit

26. November 2014

65 Roma, die in der Schweiz um Asyl ersuchten, sind zurück in ihrer Heimatstadt im Nordosten von Ungarn. Dort   zeigt man wenig Verständnis für ihre Probleme.

Die Wohnung sieht aus, als wären ihre Bewohner nie weg gewesen. Als hätten sie nicht vor knapp einem Monat Hab und Gut verkauft, um ins Ungewisse aufzubrechen. Die Sitzgarnitur steht wieder in der Ecke, der Tisch in der Mitte des Zimmers. Die Kaffeemaschine brummt, und an der Wand hängt wieder der Flachbildfernseher, der niemals ausgeschaltet wird. Er habe die Wohnungs­einrichtung Gott sei Dank zurück­bekommen, sagt Laszlo Galamb. Zu einem guten Preis sogar, «trotzdem bin ich jetzt wieder verschuldet». Auch die Sorgen sind zurück: Wird nächsten ­Monat noch Sozialhilfe ausbezahlt? Ist genug Geld für die Miete da? Oder ­stehen demnächst Gerichtsvollzieher und Polizei vor der Tür?


Laszlo Galamb und Anita Velkovics sind zurück in Miskolc - mit einem negativen Asylbescheid. Foto: Andras D. Hajdu

Am Abend des 19. Oktober ist der 37-jährige Laszlo mit seiner Frau Anita, ihren fünf Kindern und weiteren Romafamilien in einen Reisecar gestiegen, um die Heimatstadt Miskolc in Nordungarn für immer zu ver­lassen und in der Schweiz Asyl zu beantragen (TA vom 23. 10.). Ihre Häuser in einer ehemaligen Arbeitersiedlung, in der die Strassen nur Nummern haben, sollen demnächst abgerissen werden. Die Stadtverwaltung möchte das nahe gelegene Fussballstadion ausbauen und auf dem Areal der Siedlung einen riesigen Carparkplatz anlegen. Viele Familien erhielten die Kündigung, einige Häuser wurden schon demoliert. Auch klagen die Roma über Diskriminierung und Rassismus durch Behörden und die rechtsextreme Partei Jobbik. Freie ­Stellen gibt es in der Umgebung kaum – und wenn, dann haben Roma bei der Bewerbung keine Chance.

Der Bürgermeister schweigt

Der Car brachte die 65   Asylbewerber ins Westschweizer Aufnahmezentrum Vallorbe, wo sie getrennt nach Kreuzlingen oder Basel weitergeschickt wurden. Ihre Anträge wurden vom Bundesamt für Migration (BFM) im beschleunigten Verfahren abgewickelt: Erst durften die Roma den Grund ihrer Reise erklären, dann machten ihnen die Beamten klar, dass sie als EU-Bürger keine Chance auf Asyl hätten. Seit etwa 14   Tagen sind sie alle wieder in Miskolc. «Natürlich sind wir alle sehr traurig», sagt Galamb: «Aber es gab eine winzige Chance für ein besseres Leben. Zu Hause haben wir nicht einmal die.» Galamb erzählt vom Gerücht, dass sich ein Bewohner der Siedlung unlängst aus Verzweiflung umgebracht habe. Auf dem Tisch liegt der Bescheid des BFM, dass alle vorgebrachten Gründe nicht asylrelevant seien: «Sie sind verpflichtet, die Schweiz zu ver­lassen.» Das Dokument ist in Deutsch verfasst, die Roma können es nicht ­lesen. Über zwei Wochen waren die Galambs im Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) Basel, das von Beratungsorganisationen und Medien häufig wegen Überbelegung, mangelnder medizinischer Betreuung und unfreundlichen Wachpersonals kritisiert wird. Laszlo Galamb aber fühlte sich dort zum ersten Mal «als menschliches Wesen ernst genommen». Alle im Zentrum hätten sie mit Respekt behandelt, und die Wachleute spielten im Hof mit den Kindern Fussball. Ja, nickt die achtjährige Tochter Bianca, in der Schweiz sei es sehr schön gewesen.

Zurück ging es im Flugzeug nach Buda­pest und weiter mit dem Zug nach Miskolc. Die Reisekosten trug das BFM, die Buchung übernahm die Internationale Organisation für Migration (IOM), die im Auftrag des BFM die Migranten begleitet hat. Trotz der organisatorischen Hilfe sind die Rückkehrer auf IOM nicht gut zu sprechen. Ein IOM-Mitarbeiter hätte ihnen Wohnungen und Arbeit in Budapest versprochen, behaupten sie. «In Ungarn bleiben, aber nicht mehr in Miskolc leben müssen – das wäre das Beste für uns», sagt Sandor Lakatos, ein Nachbar der Galambs, der mit seiner Frau ebenfalls im EVZ Basel war. Im Glauben an ein neues Leben in der Hauptstadt unterschrieben die Roma den Verzicht auf Einspruch gegen die Asylablehnung. Dann bekamen sie lediglich Zettel mit Adressen staatlicher ungarischer Hilfseinrichtungen. Galamb und Lakatos fühlen sich «ausgetrickst». Die Leiterin von IOM Schweiz, Katharina Schnöring, sagt hingegen, dass den Roma weder Jobs noch Unterkunft versprochen worden seien. Der Kollege in Basel habe die Familien «mehrfach darauf hingewiesen, dass es für sie als EU-Bürger keine Rückkehrhilfe gibt». Nur eine Mutter mit neun Kindern kam über Vermittlung des IOM in einem tempo­rären Schutzhaus in Ungarn unter.

Eine Woche nach ihrer Rückkehr ­gehen Laszlo und Anita Galamb in das Büro der städtischen Immobilienverwaltung Miskolc. Sie wollen wissen, ob ­ihnen die Stadt eine Ersatzwohnung ­anbieten kann, wenn ihr Haus abgerissen wird. Die Beamtin ist überraschend freundlich, macht ihnen aber keine Hoffnung: Die Warteliste für kommunale Wohnungen sei viel zu lang. «Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?», fragt die Frau am Schalter: Dann müssten die Galambs Beschwerde beim Bürger­meister­amt einreichen.

Bürgermeister Akos Kriza aber spricht nicht über dieses Thema. Nicht mit den Roma und nicht mit der ausländischen Presse. Selbst wenn die vor seinem Büro steht. Kriza, ein Parteifreund von Regierungschef Viktor Orban, hat dafür keine Zeit. Seine sichtlich genervte Pressesprecherin holt statt­dessen den Vizebürgermeister. Peter Pfliegler spricht perfekt Deutsch und mahnt erst einmal lautstark den Journalisten, dass er nur die Wahrheit schreiben solle. Dann spricht der Vizebürgermeister von grosser Dankbarkeit für die 1,2   Millionen Franken, die Miskolc aus dem Schweizer Erweiterungsbeitrag erhielt: «Wir haben damit zwei Bäche gesäubert, die Uferverbauung erneuert und sogar die Frösche gerettet. Das ist wichtig für unsere Ökologie.» Vom ­Exodus der Roma habe die Stadt­ver­waltung nichts gewusst, sagt Pfliegler: «Wir schicken niemanden fort.»

«Er war nur noch deprimiert»

In den Häusern an den Nummernstrassen herrschen trotzdem Nervosität und Angst. Die Regierung Orban hat für die Wintermonate ein Moratorium verhängt: Bis zum 15. März 2015 darf niemand aus seiner Wohnung geworfen werden. Aber das wissen viele Roma nicht. Jozsefne Molnar glaubt, sie müsse Anfang Dezember ihr Haus verlassen, und ist verzweifelt: Kommende Woche werde sie ihre Möbel auf die Strasse ­stellen und warten, was geschehe: «Ich kann nirgendwo hin, und die Stadt­verwaltung redet nicht mit uns.» Vizebürgermeister Pfliegler bestätigt, dass die Siedlung in den nächsten Jahren abgerissen werde: «Sie ist nicht zum Leben geeignet.» Wer einen ordentlichen Mietvertrag habe, erhalte 2,5   Millionen Forint (rund 10 000 Franken), um ein Haus in einer anderen Gemeinde zu kaufen, sagt Pfliegler. In den Kündigungs­schreiben steht allerdings nichts von diesem Angebot. Ausserdem würde kaum jemand freiwillig in die Provinz ziehen. In heruntergekommenen Dörfern wie Vilmany sind Armut und Verzweiflung noch grösser als in der Stadt.


«Ich kann nirgendwo hin»: Jozsefne Molnar (links) in der Siedlung der nummerierten Strassen. Foto: Andras D. Hajdu

Piroska Forizs muss im Mai ihre Wohnung räumen. Sie hat keine Ahnung, wie es mit ihr und den fünf Kindern weitergehen soll. Ja, bestätigt sie das Gerücht in der Siedlung, ihr Mann habe vergangene Woche Selbstmord begangen: «Er war nur noch deprimiert, wusste nicht, wie es weitergehen soll.» Die zwei ältesten Buben hätten den Vater am Morgen erhängt vor dem Haus gefunden, sagt sie. Jetzt schleppt die zierliche Frau zwei volle Plastiktaschen über die Strasse. Das letzte Geld hat sie für den Einkauf ausgegeben. Damit muss die Familie eine Woche durchkommen. Vielleicht auch länger.