Sand im Getriebe der privaten Bahnbetreiber

30. Juni 2012

Der ehemalige SBB-Chef Benedikt Weibel berichtete in Wien von seinen Erfahrungen mit der österreichischen Westbahn. Dabei zeigte sich, dass private Anbieter trotz der Liberalisierung im europäischen Personenverkehr einen schweren Stand haben.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Leo Express

Eine Privatbahn als Goldesel? Benedikt Weibel räumt gleich mit dem Mythos des «Rosinenpickens» auf: Selbst auf gut ausgebauten Bahnstrecken mit hohem Fahrgastpotenzial sei das Geschäft nicht einfach, «wir sind in einem beinharten Kampf um den Break-even». Der ehemalige Chef der SBB ist Verwaltungsratspräsident der privaten österreichischen Gesellschaft Westbahn, die seit Dezember 2011 mit sieben Triebzügen des Schweizer Bahnbauers Stadler im Stundentakt zwischen Wien, Linz und Salzburg verkehrt und damit als erster privater Bahnbetreiber dem staatlichen Platzhirsch ÖBB im Personenverkehr Konkurrenz macht.

Bei der Privatisierung im Personenverkehr sei Österreich ein Versuchslabor in Europa, betont Weibel an einer von der Handelskammer Schweiz-Österreich in Wien veranstalteten Diskussion zum Thema «Private Konkurrenz im öffentlichen Verkehr». Wenn die Westbahn scheitere, «können wir das Dossier Wettbewerb gleich wieder schliessen», warnte Weibel.

Wenig geeignete Strecken

Mit ihrer Richtlinie 91/440 hat die Europäische Union schon vor über zwanzig Jahren die Weichen zur Liberalisierung des Schienenverkehrs gestellt. Die EU-Mitgliedsländer verpflichteten sich dabei zu einer strikten Trennung von Infrastruktur und Betrieb sowie zum «Open Access»: Die Staatsbahnen sollten privaten Betreibern Zugang zum Netz gewähren. Während das im Güterverkehr relativ schnell und umfassend umgesetzt wurde (auch in der Schweiz), tun sich private Unternehmen im Personenverkehr in den meisten europäischen Ländern bis heute sehr schwer. Einerseits gibt es wenige attraktive Strecken, auf denen sich ein nicht subventionierter Betrieb lohnen würde. Andererseits sind die Widerstände der Staatsbahnen, aber auch der zuständigen Ministerien und ihrer Bürokratie beträchtlich.

Das musste auch Weibel in den vergangenen Monaten erfahren. Der Schweizer glaubte, Österreich aus früheren Reisen und von seiner Beratertätigkeit bei der EM 2008 gut zu kennen. Doch als Konkurrent der allmächtigen Staatsbahn erlebte er so manche unangenehme Überraschung. Die ÖBB weigerten sich nicht nur lange, die Westbahn in ihre Fahrpläne aufzunehmen, sondern zwangen das Start-up-Unternehmen mit Billigtickets in einen Preiskampf, den die Westbahn weder erwartet noch einkalkuliert hatte.

Aufbruchstimmung in Tschechien

So hat die Privatbahn ein halbes Jahr nach ihrem Start zwar etwas mehr Fahrgäste als erwartet, liegt aber bei den Einnahmen weit hinter Plan. Wenn die ÖBB ab Juli die Billettpreise um rund 8 Prozent erhöhen, wird deshalb die Westbahn mitziehen.

Grabenkämpfe und persönliche Feindschaften verhindern auch die für die Fahrgäste sinnvolle gegenseitige Anerkennung von Fahrkarten sowie die Einbindung der Westbahn in den Taktfahrplan der ÖBB. Derzeit fahren die Intercity-Züge der Staatsbahn und die Stadler-Züge des privaten Konkurrenten knapp nacheinander. Und hinter den Kulissen tobt ein Rechtsstreit. Derzeit, sagt Weibel, «geben wir mehr Geld für Anwälte als für das Marketing aus». Sieht so die Zukunft des Schienenverkehrs in Europa aus?Österreich sei ein spezieller Fall, sagt der junge tschechische Unternehmer Leoš Novotný an der Diskussion in Wien: «Ich spüre, dass Private im Schienenverkehr hier nicht sehr willkommen sind. Bei uns ist das ganz anders, ich bekomme starke Unterstützung von Ministerium und Beamten.» Novotný lässt bei Stadler in Bussnang gerade Triebzüge für den Schnellzugverkehr zwischen Prag und Ostrava bauen. Finanziert werden die Züge von der Credit Suisse, der Betrieb soll im Dezember beginnen. Der Leo-Express muss sich dann nicht nur gegen die Pendolino-Züge der Staatsbahn behaupten, sondern auch gegen den privaten Mitbewerber Regiojet, der seit einem halben Jahr seine gelben Züge auf derselben Strecke führt und seinen Fuhrpark in den nächsten Monaten mit alten 1.-Klasse-Reisezugwagen der SBB verstärken wird.Die Frage, ob eine Bahnstrecke für drei Anbieter nicht zu klein sei, findet Novotný lächerlich: Auch im Flugverkehr oder beim Mobilfunk gebe es doch mehr als zwei Unternehmen, und niemand halte den Markt für zu klein. Der Leo-Express will sich durch Schweizer Qualität von den Mitbewerbern abheben, die ersten Stadler-Züge werden gerade auf dem Eisenbahntestring im tschechischen Velim geprüft. Novotný glaubt, dass die Zukunft im Schienenverkehr privaten Unternehmen gehöre: Sie könnten bessere Qualität zu niedrigen Preisen bieten. Wenig lukrative Verbindungen in Randzeiten und Regionalbahnen könnten weiter vom Staat subventioniert werden.

Taktverkehr als Chance

Mit dieser Meinung bleibt der Tscheche bei der Podiumsdiskussion in Wien freilich allein. Private Bahnen im Personenverkehr, so der Tenor der anderen Teilnehmer, hätten nur eine Chance und eine Existenzberechtigung, wenn ihre Züge in den Taktverkehr der Staatsbahn eingebunden werden können. Auf Weibels Plädoyer für einen «harten, aber fairen Wettbewerb» antwortet der Generalsekretär des österreichischen Verkehrsministeriums, Herbert Kasser, allerdings mit dem Hinweis, dass die Schweiz im Personenverkehr überhaupt keinen Wettbewerb zulässt. Und das muss auch Weibel zugeben: In einem so durchdachten und getakteten System wie dem Schweizer Fahrplan gebe es für private Wettbewerber keinen Platz.