Selbst das Sandwich ist Swiss made

16. November 2012

Der Leo Express von Stadler Rail absolviert in Tschechien Testfahrten mit Passagieren. Beworben wird die Schweizer Qualität der neuen Privatbahn.

Kaum hat der Zug den Prager Hauptbahnhof verlassen, beginnt Fadi Khairallah schon seinen ersten Inspektionsgang. «Darf ich Sie kurz stören?», fragt er die Reisenden und will von ihnen wissen, wie die Sitze, das Klima, der Service gefallen. Oder stört sie etwas? Hätten sie Ideen für Verbesserungen? Ja, die Klimaanlage sei etwas zu kalt eingestellt, «das verbessern wir noch».

Die erste Fahrt des Leo Express nach Ostrava         

Khairallah ist technischer Projektleiter bei Stadler Rail. Die vergangenen Jahre hat er vor allem an der Entwicklung einer Schnellzugversion des Triebzuges Flirt für die neue tschechische Privatbahn Leo Express gearbeitet. Ständig ist er zwischen der Fabrik in Bussnang TG und Prag gependelt, hat die schwarz-goldenen Kompositionen in Empfang genommen und sie östlich von Prag getestet.

Auf dieser Fahrt ist der Zug erstmals mit zahlenden Passagieren unterwegs. Der Stadler-Techniker wirkt leicht angespannt. Knapp vor der Jungfernfahrt musste er noch das GPS einrichten, damit die Monitore im Zug die Position richtig anzeigen. Doch das Wichtigste ist: Die Flirts fahren, die Passagiere wirken zufrieden, manche sogar beeindruckt.

Es ist nur ein dreitägiger Probelauf, den Normalbetrieb zwischen Prag, Olomouc (Olmütz) und Ostrava (Mährisch Ostrau) wird der Leo Express erst mit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember aufnehmen. Doch sowohl für das Startup-Unternehmen des 28-jährigen Leoš Novotny als auch für den Erzeuger der Züge geht es um viel. Novotny macht sehr viel Werbung für eine «neue Qualität des Reisens». Und Stadler Rail will beweisen, dass der Flirt, der in der Schweiz als Nahverkehrszug eingesetzt wird, mit kleineren Adaptionen auch für den Fernverkehr tauglich ist. Nach Tschechien sind bis jetzt zwar nur fünf Züge geliefert worden, aber man hofft auf Folgeaufträge. Der Leo Express «ist das Bijou unserer Produktpalette», sagt Projektleiter Khairallah.

Konkurrenz ist gross

Die 350 Kilometer lange Verbindung von Prag in die nordmährische Industriestadt Ostrava ist die lukrativste Strecke in der Tschechischen Republik. Doch die Konkurrenz für den Neuling ist gross. Die staatliche Bahngesellschaft CD fährt im Zweistundentakt mit dem schnellen Pendolino, dazwischen verkehren seit einem Jahr die gelben Züge der Privatbahn Regiojet. Sie setzt auf moderne Waggons aus Österreich und ein Servicekonzept: Es gibt nur eine Klasse, Personal in jedem Waggon, Kaffee und Zeitungen gratis, WLAN und Steckdosen.

Der Service kommt gut an, die Züge von Regiojet sind voll. Demnächst wird der Wagenpark deshalb mit gebrauchten Erste-Klasse-Waggons der SBB verstärkt. Was kann Leo Express da noch besser machen?

«Die Unterhaltung an Bord», antwortet Unternehmenssprecher Petr Kopacek. Im Leo Express gibt es neben WLAN auch ein Intranet, über das sich die Reisenden nicht nur über die Geschwindigkeit, die Entfernung zum Zielort und das Wetter informieren können – sie können auch Radio hören, Filme schauen oder Computergames spielen. Es gibt auch eine Kamera im Führerstand, welche die Sicht des Lokführers auf die Laptops der Reisenden überträgt. Später soll man auch Kaffee oder Snacks via Intranet bei den Stewards bestellen können. Heute muss man noch warten, bis sie im Wagen vorbeikommen. Wer keinen Computer mitbringt, kann sich im Zug ein iPad für die Fahrt ausleihen. Ein solches Informationssystem im Zug sei eine Premiere, «das hat noch keine andere Bahngesellschaft», betont Projektleiter Khairallah.

Geschäftsleute im Visier

Leo-Eigentümer Novotny hat das Marketingkonzept ganz auf das Gütesiegel «made in Switzerland» ausgerichtet. Er bewirbt damit nicht nur den Zug, auch die Sandwichs und die Mousse au Chocolat tragen auf den Speisekarten den Stempel Swiss made. Zielgruppe von Leo Express sind vor allem Geschäftsreisende. Platz für Velos sucht man im Zug vergeblich. Dafür werden drei Klassen angeboten: Economy, Business und Premium.

In Österreich ist dieses Konzept gescheitert. Die Luxusklasse im Railjet wird von den ÖBB gerade zugunsten eines Veloabteils verkleinert. In Tschechien aber werde es genug Nachfrage nach den sechs Luxussitzen in jedem Zug geben, ist Leo-Sprecher Kopacek überzeugt. «Wir haben hier viele Geschäftsleute, die sich die anstrengende Autofahrt gerne ersparen.» Ausserdem sei der Preisunterschied zwischen den Klassen nicht so gross.

Eine unruhige Fahrt

Zwischen 130 und 210 Kronen (6.50 und 9.90 Franken) kostet eine EconomyFahrt von Prag nach Ostrava im Leo Express (der Preis variiert je nach Tageszeit und wie früh gebucht wird). Bei der Staatsbahn CD sind es 295 Kronen (13.90 Franken) in der zweiten Klasse.

Nach 3 Stunden und 25 Minuten erreicht der neue Stadler-Zug schliesslich Ostrava. Die Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h konnte er nur streckenweise ausfahren, dazwischen rollte er zum Teil recht langsam auf geschwungenen Pfaden durch malerische, aber enge Täler. Der Schweizer Projektleiter Khairallah ging derweil mehrmals durch den Zug und sprach so gut wie alle Fahrgäste einmal an. Die meisten sind sehr zufrieden, viele interessieren sich für die neue Technik.

Ein Reporter des tschechischen Radios merkt allerdings an, dass der Zug bei höherer Geschwindigkeit sehr unruhig fahre. Und ein Journalist einer Olmützer Lokalzeitung bemerkt, dass der Leo Express vielleicht zu modern sei: «Wir sind hier in Tschechien. Die Tschechen lieben das Neue nicht.»