Sie kommen zurück

16. Juli 2015

Ein junger Österreicher reist nach Syrien, wird verwundet, kehrt zurück und muss ins Gefängnis. Damit löst der Westen aber dieses Problem nicht, im Gegenteil. 

Was macht man mit einem Jugendlichen, der sechs Monate dem Islamischen Staat diente? Der sich in diesen sechs Monaten als Schlächter an den Ungläubigen darstellte, danach reuig in seine europäische Heimat zurückkehrte? Kann diese Reue echt sein? Kann Fanatismus von selbst vergehen, oder bleibt er im Kopf hängen? 

Vor diesen Fragen stand in den vergangenen Tagen ein Wiener Gericht, das über den zurückgekehrten Jihadisten Oliver N. urteilten musste. 

In Österreich war es das erste Verfahren gegen einen Rückkehrer aus dem Islamischen Staat, doch die Geschichte des heute 17-jährigen steht exemplarisch für viele der 4000 europäischen Kämpfer beim IS. Sie hätte in jedem beliebigen Gerichtssaal in Europa verhandelt werden können. Es ist die Geschichte eines Kindes, das von den Eltern vernachlässigt wurde und in einem Heim aufwuchs. Das nach eigenen Angaben niemals Liebe oder Zuneigung erfuhr. Migrationshintergrund hat N. nicht, Bezug zu Religionen hatte er auch nie. Umso bemerkenswerter ist, dass von seinem ersten Kontakt zum Islam in Wien bis zu seiner Ausreise über die Türkei nach Syrien im August 2014 nur wenige Monate vergingen. Er habe beim IS endlich jene Anerkennung gefunden, die er immer gesucht hatte, sagte N. vor Gericht. 

Anfang Februar 2015 wurde N. bei einem Bombenangriff der syrischen Armee auf die IS-Hochburg Raqqa schwer verletzt. Nach mehreren Operationen im örtlichen Spital kam er zwar wieder zu Kräften, organisierte aber dann seine Rückreise nach Österreich. Anfang März wurde er bei der Ankunft am Flughafen Wien festgenommen. Das Gericht verurteilte Oliver N. gestern wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu zweieinhalb Jahren Haft. Das ist nur die Hälfte der Höchststrafe für Jugendliche, aber es ist lange genug, um neue Probleme zu schaffen. Ins Gefängnis geht ein Jugendlicher, der viel Gewalt gesehen hat, aber der wahrscheinlich selbst keine Gewalt ausübte. Zumindest konnte ihm das Gericht nichts nachweisen. Wie wird er das Gefängnis als Erwachsener wieder verlassen?

Kein Mitgefühl für andere

Die psychiatrische Gutachterin stellte N. kein gutes Zeugnis aus: Seine Reue sei oberflächlich, ihm fehle jede Empathie. Er könne nur die eigenen Schmerzen wahrnehmen, nicht aber die Schmerzen anderer nachfühlen. Deshalb brauche er auf alle Fälle eine straffe Betreuung und eine «ganz, ganz lange Therapie». Die Frage ist nur, ob diese Resozialisierung nach zweieinhalb Jahren Haft noch möglich ist. Oder ob N. dann endgültig in die Welt des radikalen Islam abgeglitten sein wird.

In der Schweiz wurde Ende 2014 ein Rückkehrer statt zu Gefängnishaft zu 600 Stunden gemeinnütziger Arbeit, einer psychiatrischen Behandlung und zur Erstellung einer fotografischen Friedensdokumentation verurteilt. Das milde Urteil stiess auf heftige Kritik. Auch im österreichischen Prozess forderte die Staatsanwältin eine hohe Strafe, um Nachahmungstäter abzuschrecken. «Solche Taten werden von Demokratie liebenden Menschen in Europa nicht toleriert.» Allerdings hat die Politik der Härte, wie sie auch in Frankreich und Gross­britannien angewandt wird, noch keine über­zeugenden Ergebnisse erbracht.

Erwiesen ist, dass Gefängnishaft zu einer zweiten Radikalisierung führen kann. Die Attentäter auf das jüdische Museum in Brüssel und auf «Charlie Hebdo» in Paris hatten zuvor Haftstrafen abgebüsst und waren im Gefängnis radikalisiert worden. Von Oliver N. weiss man, dass er in Untersuchungshaft Kontakt zu Mithäftlingen mit Verbindungen zum ­Islamischen Staat suchte. Erwiesen ist auch, dass jene in der Islamistenszene an Prestige gewinnen, die einen Gefängnisaufenthalt hinter sich haben. Der österreichische Konvertit Mohammed Mahmoud wurde als Propagandist der al-Qaida zu vier Jahren Haft verurteilt. Danach setzte er sich nach Syrien ab. Heute ist er einer der bekanntesten ­Propagandisten des Islamischen Staats. 

Es fehlt an allem 

Die Politik hat das Problem mit den Rückkehrern erkannt, zieht daraus aber nur halbherzige Konsequenzen. Sie hat Konferenzen einberufen, Expertenrunden gebildet, Konzepte für Sozialarbeit und Deradikalisierung erstellen lassen. Aber für deren Umsetzung fehlt das Geld. Es fehlt an Sozialarbeitern, die salafistische Propaganda an Schulen erkennen können, es fehlt an Netzwerken, die Rückkehrer auffangen und deradikalisieren können, es fehlt an betreuten Arbeitsplätzen und betreuten Wohnungen. Solange diese Programme nicht installiert werden, bleiben auch Gefängnisstrafen, Ein- und Ausreiseverbote wirkungslos. Dass labile, von einer schweren Kindheit geprägte Jugendliche wie N. für radikale Ideologien besonders anfällig sind, erkannte gestern auch die Richterin in Wien. Ihre Schlussfolgerung aber, dass diesem Prozess durch hohe Gefängnisstrafen «Einhalt geboten werden muss», ist nicht so leicht nachzuvollziehen. 

Ja, die Resozialisierung radikalisierter Jugendlichen wird noch sehr viel Geld kosten. Es wäre höchste Zeit, dass die Regierungen das aussprechen und danach handeln. Es ist letztendlich Geld, das in den Schutz der Demokratie investiert wir. Und damit in den Schutz der Bürger.