Sölden will nicht Ballermann sein

15. Februar 2013

Ein Tiroler Skiort wehrt sich gegen seine Darstellung in einer deutschen Dokusoap.

Ischgl ist der Katastrophe knapp entkommen. Sölden aber hat es voll erwischt. Obwohl es genug Warnungen gegeben hätte, genug Vorzeichen einer drohenden Gefahr. Aber die wurden natürlich wieder einmal nicht beachtet. Oder als völlig übertrieben abgetan. Das wird schon alles nicht so schlimm, hiess es von den Verantwortlichen. Oder auch: Es kann uns mehr nützen als schaden.

Und dann überrollte der Medienzirkus den bekannten Skiort im Tiroler Ötztal. Wie eine Lawine, aber mit noch mehr Wucht und Kollateralschäden, die zum heutigen Zeitpunkt nicht annähernd abschätzbar sind. Das Ausmass des Schadens ist an vier Donnerstagen im deutschen Privatsender Prosieben zu sehen und zu hören: «Hey, Scheisse, Mann . . . Voll krass . . . Geile Aussicht . . . Guck nich so schwul!» Unterschichtfernsehen in Reinkultur nach einfachem Rezept: Vier Jungs und vier Mädchen aus dem Ruhrgebiet dürfen zum ersten Mal in ihrem Leben in den Tiroler Alpen Skiferien machen und müssen sich dabei so anstellen, wie es von Prolos aus dem Pott erwartet wird. Dämlich, meistens sturzbetrunken und immer geil. «Big Brother» goes Ötztaler Alpen, der Container wird durch die Skihütte ersetzt.

Das Format heisst «We love Sölden» und ist eine Wintervariante der Dokusoap «We love Lloret», die Prosieben im spanischen Ferienort Lloret de Mar drehte. Der deutsche Sender kopierte eine amerikanische Erfolgsserie namens «Jersey Shore», bei der acht Jugendliche italienischer Abstammung in die Ferien geschickt werden. Die spanische Touristengemeinde hatte allerdings wenig Freude mit den deutschen Gästen. Obwohl Lloret nicht gerade um sensible Ökotouristen wirbt, war die Darstellung als Zentrum des Sauf- und Bumstourismus der Gemeindeverwaltung doch zu viel. Prosieben flog raus und suchte Asyl in einem österreichischen Wintersportort.

Zuerst klopften die Deutschen in Ischgl an, das ja auch nicht gerade bekannt für seinen sanften Wintertourismus ist. In den Bildern von bis zur Besinnungslosigkeit saufenden Jugendlichen konnten die Fremdenverkehrsmanager im Paznauntal allerdings keinen Mehrwert erkennen. Die Marke Ischgl könnte beschädigt werden, fürchteten sie. Und liessen den Sender abblitzen.

Sölden aber sagte: Willkommen! Auf einen kurzen Blick ins Internet, wo ja alle Folgen aus Spanien abrufbar sind, verzichtete man offenbar. Oder man hoffte, dass in der Tiroler Variante alles anders, alles besser werde. Es wurde nicht. Natürlich nicht.

In «We love Sölden» saufen sich Emilio, Maikiboy, Lory und ihre Kumpane durch Söldens Skihütten und Discos, wetteifern um die dümmsten, derbsten Sprüche und ziehen sich bis auf die Stringtangas aus. Skifahren ist Nebensache. Nach Ausstrahlung der ersten drei Folgen würden die Söldner gerne auf die Serie verzichten, aber dazu ist es zu spät. Eine weitere Folge wird auf alle Fälle noch ausgestrahlt. Die Geister, die die Touristiker riefen, «werden sie jetzt jedenfalls nicht so schnell mehr los», ätzte die «Tiroler Tageszeitung» in einem Kommentar.

Dabei wirken die Hilferufe von Hoteliers, die jetzt um ihre seriöse Kundschaft und um die Moral der Söldner Jugend fürchten, doch leicht gekünstelt. Wenn die Söldner ehrlich wären, müssten sie zugeben, dass die deutsche Dokusoap genau ihr Zielpublikum anspricht. Wer den weiten Weg ins hinterste Ötztal auf sich nimmt, kommt nicht wegen der klaren Bergluft und des sanften Rauschens der Wälder. Er (oder sie) will literweise Jägertee oder Wodka-Feige saufen, sich mit DJ Ötzis Balla-Balla-Sound volldröhnen und irgendwann bewusstlos in einem fremden Bett landen.

Wahrscheinlich sind die Tiroler in Wirklichkeit auch nur beleidigt, dass die Deutschen ihnen die Show stehlen. Und sie schauen neidisch auf das Bundesland Steiermark. Dort haben die Schladminger bei der Eröffnung der Ski-WM gezeigt, dass sie auch alleine peinlich sein können. Ganz ohne ausländische Hilfe.