Stufenlos in die Design-Sauna

13. Juli 2012

Die Stadt Wien leistet sich ultramoderne Trams und lässt die Fahrgäste darin schwitzen.

Von Bernhard Odehnal, Wien

35 Grad, 36 Grad. Und die Thermometersäule klettert weiter nach oben, auf 37, an einigen Punkten sogar auf 38 Grad. Wien war in den vergangenen Tagen Hitzezentrum Europas, und die Hitzezentren Wiens waren - die Trams. Nicht alle, sondern nur jene, die von den Verkehrsbetrieben, die sich hier Wiener Linien nennen, als die «neue Bim» beworben werden, obwohl sie nun auch schon über zehn Jahre alt sind. Durch die riesigen, leicht gewölbten Scheiben können die Sonnenstrahlen ungehindert eindringen und den Innenraum richtig gut aufheizen. Zu öffnen sind die Fenster nur einen Spaltbreit. In den Wagen entsteht so die heimelige Atmosphäre einer Dampfsauna, in der sich Hitze mit den Ausdünstungen der ermatteten Fahrgäste vermischt. Für die katholischen Wiener (auch die soll es noch geben, auch wenn es nicht mehr viele sein können) hat das höchstens den Vorteil, dass sie gleich ihre Sünden abbüssen und sich den sonntäglichen Beichtgang ersparen.

Das Fegefeuer des öffentlichen Verkehrs ist freilich keine Erfindung der Kirche, sondern die einer ganz und gar atheistischen und sozialistischen Stadtverwaltung. Sie hat vor zwei Jahrzehnten den Bau neuer Tramzüge beschlossen und wollte in der ihr eigenen Unbescheidenheit keine Ware von der Stange kaufen: Es musste etwas Neues, Sensationelles her. Das Tram mit der niedrigsten Einstiegshöhe der Welt, mit der Technik von Siemens und dem Design von Porsche. Nicht «Low Floor» (Niederflur) sollte es sein, sondern «Ultra Low Floor», Niedrigstflur, weshalb die Trams heute noch nach dieser Abkürzung ULF heissen. Das war alles gut und schön und ziemlich teuer. Aber wenn es um Prestige und Protzen geht, spielt der Preis für die Wiener niemals eine Rolle.

Ausserdem sollten sich die enormen Baukosten später durch Lizenzzahlungen amortisieren. Denn der ULF, so der Plan der Stadtverwaltung, würde der österreichische Exportschlager schlechthin werden, Verkehrsbetriebe von Singapur bis Montreal würden ULF in rauen Mengen bestellen. Das war eine Spur zu optimistisch: Ausser in Wien fahren heute nur noch zwei ULF in der rumänischen Kleinstadt Oradea. Dabei: Schön schauen sie ja wirklich aus, und schnell sind sie auch. Nur leider auch sehr oft kaputt. Möglicherweise hätte man ein Tram doch nicht wie ein Auto bauen sollen.Und dann ist da noch die Sache mit der Sauna: Weil schon die ausgefallene Antriebstechnik so viel kostete, war dann für Klimaanlagen in den hermetisch abgeschlossenen Zügen dummerweise kein Geld mehr da. «Wurscht», werden sich die Konstrukteure gedacht haben, «wird eh keiner merken.» Bis die Beschwerden so laut wurden, dass man sie nicht mehr ignorieren konnte. Seit 2006 schafft Wien nun doch Trams mit Klimaanlagen an.Die 150 zuvor gekauften ULF werden aber noch mindestens 20 Jahre laufen und ihren Fahrgästen eine heisse Zeit zwischen Ringstrasse und Agglomeration bescheren. An den nachträglichen Einbau einer effizienten Kühlung (es muss ja nicht gleich eine Klimaanlage sein, Fenster zum Öffnen würden es auch tun), sei nicht gedacht, sagen die Wiener Linien. Die Kosten stünden in keinem Verhältnis zum Nutzen, und überhaupt gehe es «doch nur um zwei Wochen im Jahr». In diesem Jahr waren es allerdings schon gute vier Wochen, und die erste Hitzewelle überraschte Wien im April.Kleiner Trost für die gar gesottenen Fahrgäste: Weil die ULF so teuer sind, werden neben den schnittigen Porschezügen die alten Trams aus den 60er-Jahren noch sehr lange ihre Runden durch Wien ziehen. Und die haben - altmodisch, aber praktisch - Fenster zum Öffnen. Allerdings auch drei steile Stufen bei den Einstiegen, was sie mit Kinderwägen oder Rollstühlen fast unbenutzbar macht. Aber Komfort und Kühle kann man halt nicht gemeinsam haben. Nicht im Wiener Tram. Und kleine Kinder sollten bei diesen Temperaturen ohnehin besser zu Hause bleiben.