Swiss Connection

23. Februar 2012

Eine mysteriöse Firma, eine Schwiegermutter, stumme Treuhänder. Österreich steht im Bann einer riesigen Korruptionsaffäre. Im Zentrum: Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser und seine Verbindung in die Schweiz.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Am 6. Dezember 2011 hält die Zürcher Firma Ferint bei einem Notar in Rorschach ihre Generalversammlung ab. Gut besucht ist sie nicht. Ausser dem Notar ist nur Verwaltungsrat Urs S. anwesend. Innert kurzer Zeit wird die Tagesordnung abgehakt, obwohl es um wichtige Veränderungen geht: Die Firma erhält einen neuen Namen, einen neuen Sitz und einen neuen Zweck. Ein ganz normaler Vorgang? An sich schon. Aber in diesem Fall verschwand ein Firmenname aus den Schweizer Registern, der in Österreichs Medien täglich in Verbindung mit der mutmasslich grössten Korruptionsaffäre der Zweiten Republik genannt wird.

Ferint spielt eine wichtige Rolle in den Ermittlungen gegen Karl-Heinz Grasser. Der ehemaligen Finanzminister soll über das Wiener Konto der Schweizer Firma Schmiergeld verschoben haben. Ferint spielt ausserdem eine Rolle in einem Liechtensteiner Justizskandal: Ein Anwalt nahm beschlagnahmte Dokumente an sich, die brisante Informationen enthalten könnten. Und Ferint spielt eine Rolle in Grassers Familienleben, besonders im Verhältnis zu seiner Schwiegermutter Marina Giori-Lhota.

Die Mutter von Fiona Swarovski wird von Grasser als Beweis für seine «supersaubere Weste» genannt: Nicht sein eigenes Geld habe er auf dem Ferint-Konto angelegt, sondern das Vermögen von Giori-Lhota, behauptet der Ex-Politiker. Der Staatsanwalt will ihm das nicht glauben. Die Schwiegermutter schweigt. Gab sie tatsächlich, wieGrasser erzählt, ihrem Schwiegersohn (der damals noch Finanzminister war) eine halbe Million Euro mit den Worten «Schauen wir einmal, wie du Geld veranlagen kannst»? Das könnte ihr Probleme mit der Steuerbehörde bringen. Oder war sie niemals «wirtschaftlich Berechtigte» des Ferint-Kontos, wie sie den Finanzbehörden schrieb? Dann könnte Grasser der Falschaussage und der Korruption überführt werden.

Antworten auf viele Fragen in der Affäre Grasser liegen in Kisten mit Notizen, Gesprächsprotokollen und Kontoauszügen bei der Zürcher Justiz. Die österreichischen Ermittler warten auf diese Unterlagen, doch bis zur Überstellung nach Wien könnten noch Monate vergehen. «Die Schweiz spielt in der Causa Grassereine Schlüsselrolle», sagt der Reporter Kurt Kuch vom Magazin «News»: «In den Dokumenten aus Zürich würden die Ermittler wahrscheinlich jenes eine Prozent an Beweisen finden, das ihnen zur Anklage fehlt.»

Seit mehreren Jahren wird gegen den Mann mit dem Kürzel KHG und seine Freunde ermittelt. Es geht um die Zeit der schwarz-blauen Koalition von ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel mit Jörg Haiders FPÖ. Damals - zwischen 2000 und 2006 - machte Finanzminister Grasser alles zu Geld, was er irgendwie privatisieren konnte.

Die Profiteure waren Immobilienunternehmen, Baufirmen, Glücksspielfirmen. Sie zahlten dafür enorme Provisionen. Bis jetzt weiss die Justiz von 12 Millionen Euro, die an Grassers Netzwerk flossen. Die Transaktionen wurden über Konten von Firmen abgewickelt, die in der Schweiz residieren oder Schweizern gehören. Das Geld wurde so lange hin und her geschoben, bis sich die Spuren in der Karibik und auf Zypern verloren.

Ermittlungen laufen weiter

Rückblick: Am Abend des 19. Oktober 2009 trafen sich Grasser, sein Freund und Trauzeuge Walter Meischberger sowie der Immobilienmakler Ernst Plech in der Kanzlei des Wiener Rechtsanwalts Gerhard Toifl. Kurz zuvor war das Magazin «Format» mit der Enthüllung erschienen, dass Meischberger und Lobbyist Peter Hochegger 9,8 Millionen Euro Provision bei der Privatisierung der Immobiliengesellschaft Buwog erhalten hätten. Die Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts der Korruption. In der Anwaltskanzlei heckten die vier laut «Format» einen Plan aus, «wie Justiz, Polizei und Medien an der Nase herumgeführt werden sollten».

Grasser habe sich dabei mehrmals nach einem Zürcher Treuhänder und dessen Firma erkundigt, schrieb Meischberger danach in sein Tagebuch (es wurde später von der Polizei konfisziert). Die Swiss Connection muss den ehemaligen Finanzminister beschäftigt haben. Einen Monat später notierte Meischberger: «Er (Grasser, Anm.) wird mit Geri (Anwalt Toifl) am 3. 12. 2009 nach Zürich fliegen und die Dinge mit Wicki klären. Hier steckt noch Gefahrenpotenzial.» Meinte Meischberger die Gefahr, dass alles auffliegen könnte?

Der Schweizer Treuhänder Norbert Wicki hat eine Firma in Baar und die Mandarin Group Ltd. mit Sitz in Belize. In österreichischen Medien wird er als Schlüsselfigur in der Causa Grasser beschrieben. Über das Liechtensteiner Konto der Mandarin flossen mindestens eine Million Euro, die Grasser und Meischberger zugeordnet werden. Wicki betreut seit 15 Jahren das Vermögen von Marina Giori-Lhota, die durch ihren Anteil an der Firma Swarovski zu den vermögendsten Personen in Österreich gehört. Bis vor kurzem hatte sie einen Wohnsitz im Kanton Zug.

In einem Interview mit der Wiener «Presse» im Mai 2011 sprach Wicki von Rufmord und dass er sich «missbraucht» fühle. Aber er bestätigte das Treffen mit Grasser, der ihm dargelegt habe, «dass an der ganzen Sache nichts dran sei. Das hat mich beruhigt.» Über einen Sprecher lässt Wicki dem TA ausrichten, dass sich an dieser Darstellung nichts geändert habe.

Die österreichische Justiz sieht das anders. Die Anträge von Grassers Anwalt auf Einstellung der Ermittlungen wurden diese Woche vom Straflandesgericht abgewiesen, weil «hinreichender Tatverdacht» gegeben sei. Aus Sicht des Gerichts ist an der ganzen Sache durchaus etwas dran.

Die ersten Hinweise auf Grassers Netzwerk bekam die Justiz durch Ermittlungen gegen einen anderen Schweizer Treuhänder. Heinrich Schwägler ist Direktor der Interrevision in St. Gallen und war Geschäftspartner des österreichischen Industriellen Julius Meinl. Die Meinls sind eine Dynastie von Lebensmittelhändlern, Julius V. (genannt «der Fünfer») interessierte sich aber mehr für Bankgeschäfte und gründete Investmentfonds. Schwägler wurde Vorstand des Fonds «Meinl European Land» (MEL). Auch Grasser bekam nach seinem Ausscheiden aus der Politik einen Posten bei einer Meinl-Firma. Vermutlich machte Meinl Grasser mit dem Schweizer Treuhänder bekannt.

«Grossteils realitätsfremd»

2007 brach der Aktienkurs der Meinl-Fonds ein, über 100 000 Anleger wurden geschädigt. Die Staatsanwaltschaft begann Ermittlungen wegen Untreue und Betrugs gegen Grasser, Meinl, Schwägler und Vorstandskollegen. Meinl wurde verhaftet, gegen 100 Millionen Euro Kaution aber wieder freigelassen. Die Kaution kam von der Liechtensteiner Centrum Bank. Sie gehört zum Einflussbereich der Anwaltskanzlei Marxer, die unter anderem Schwägler vertritt.

Bei den Recherchen in der Causa Meinl stiessen die Ermittler auf das Konto der Firma Ferint und Grassers Geld. Ferint ist eine Aktiengesellschaft, als einziger Aktionär wird in einem Protokoll Heinrich Schwägler angeführt. Jene 500 000 Euro, die Grasser von der Schwiegermutter bekommen haben will, wurden zwischen Mai 2005 und Januar 2006 in drei Tranchen in bar auf das Ferint-Konto in Wien eingezahlt. Grasser erzählte den Ermittlern, dass er das Geld von Giori-Lhota in ihrer Wohnung in Zug bekommen und über die Grenze nach Österreich gebracht habe. Eingezahlt wurde ein Teil jedoch von Schwägler. Einzahlungsbelege gibt es nicht. Warum die Geheimhaltung? Warum keine Banküberweisung, wenn doch alles ganz legal und transparent war, wie Grasser immer wieder behauptet?

Die Kriminalpolizei hält Grassers Erklärung für «grossteils realitätsfremd», zitiert die Wiener Stadtzeitung «Falter» aus dem Ermittlungsbericht. Sie verdächtigt den Ex-Politiker, Schmiergeld einer Baufirma auf das Ferint-Konto eingezahlt zu haben. Um die Spuren des Gelds verfolgen zu können, ersuchte die Wiener Staatsanwaltschaft ihre Kollegen in Liechtenstein und Zürich um Hausdurchsuchungen. Die wurden im April 2011 durchgeführt. Doch bald ein Jahr danach ist kein einziges wichtiges Dokument in Wien angelangt. Die Anwälte der Betroffenen tun alles, um die Auslieferung zu verhindern.

In der österreichischen Justiz ist man zunehmend frustriert. Unterlagen, die in Zürich lagern, werden von den Wiener Ermittlern als wesentlich wichtiger als jene in Liechtenstein beurteilt. Doch die Österreicher wissen von ihren Schweizer Kollegen nur, dass erst im März mit der Sichtung des Materials begonnen wird. Für den Journalisten Florian Klenk vom «Falter» ist es ein «eklatanter Missstand, dass die Kooperation zwischen Justizbehörden in Europa so schlecht funktioniert». Marcel Strassburger, stellvertretender Leitender Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, sagt dem TA, dass das Auslieferungsverfahren der Dokumente in der Causa Grasser am Laufen sei, «wir hoffen, dass es demnächst über die Bühne gehen kann». Allerdings könnten die Anwälte immer noch Rechtsmittel einlegen.

Es fehlt der letzte Beweis

Wer in der Schweiz über die Causa Grasser recherchieren will, stösst schnell auf eine Mauer des Schweigens. Mail-Anfragen um ein Gespräch werden mit knappen Absagen beantwortet, Telefonate abrupt abgebrochen. Der Justiz geht es nicht viel besser. Marina Giori-Lhota verweigerte die Aussage, Treuhänder Wicki ebenso.

Wie nervös die handelnden Personen sind, zeigt die Justizaffäre in Liechtenstein: Dort nahm ein Anwalt der Kanzlei Marxer Dokumente aus dem Gericht mit, die nicht freigegeben waren. Sie stammten aus den Hausdurchsuchungen und sollen Informationen zum Ferint-Konto enthalten. Die Rechtsanwaltskammer leitete ein Verfahren gegen den Anwalt ein, seine Kanzlei bestreitet jeglichen Rechtsbruch.

Und wieder tauchen alte Bekannte auf: Der Liechtensteiner Anwalt vertritt Treuhänder Heinrich Schwägler, gleichzeitig ist er Stiftungsrat einer Liechtensteiner Stiftung namens Waterland, die von Karl-Heinz Grasser gegründet wurde. In dieser und einer weiteren Stiftung sollen 9 Millionen Euro liegen, schreiben österreichische Zeitungen. Wieder kann Grasser die Herkunft des Vermögens nicht glaubhaft erklären. Wieder fehlt dem Staatsanwalt jedoch der entscheidende Beweis, dass es sich um Schmiergeld handelt.

Nur wenige Tage nachdem die Entnahme der brisanten Dokumente durch den Liechtensteiner Anwalt von österreichischen Medien aufgedeckt wurde, geht Urs S. zum Notar und macht aus der Firma Ferint die Sotavento. Warum die eilige Umbenennung einer Firma, die im Fall Grasser Schlagzeilen macht? Sollte damit etwas verschleiert werden? Urs S. gibt keine Auskunft.

Die Antworten auf viele Fragen liegen in Kisten bei der Zürcher Justiz.