Ungarn hofft im Streit mit Armenien auf Schweizer Hilfe

18. September 2012

Budapest hat einen Mörder aus Aserbeidschan freigelassen und damit Armenien brüskiert. Jetzt soll die Schweiz vermitteln.

Von Bernhard Odehnal und Luciano Ferrari

«Das ist nicht unser Konflikt», erklärte Ungarns Regierungschef Viktor Orban unlängst in einem Radiogespräch: «Wir sollten uns da raushalten.» Zu spät. Ungarn ist bereits mittendrin im kriegerischen Konflikt zwischen den beiden Kaukasusstaaten Aserbeidschan und Armenien. Und es sieht nicht so aus, als könnten sich die Ungarn schnell wieder aus dieser misslichen Lage befreien. Die armenische Regierung hat die diplomatischen Beziehungen abgebrochen, in vielen Ländern fanden Kundgebungen armenischer Exilgemeinden vor ungarischen Botschaften statt.

Grund für den armenischen Zorn ist die Freilassung des Mörders Ramil Safarow (der TA berichtete). Der aserbeidschanische Soldat hatte 2004 im Rahmen eines Nato-Trainings in Ungarn seinen armenischen Kameraden Gurgen Markaryan im Schlaf mit 16 Axthieben brutal erschlagen. Der Aserbeidschaner wurde verhaftet und 2006 in Budapest zu lebenslanger Haft verurteilt, mit der Möglichkeit zur Amnestie nach 30 Jahren. Trotz des klaren Urteils lieferte die ungarische Regierung Safarow am 31. August nach Aserbeidschan aus, wo er von Präsident Ilham Alijew begnadigt und als «nationaler Held» ausgezeichnet wurde. Ungarische Medien behaupteten, dass Ungarn im Gegenzug von Aserbeidschan den Kauf von Staatsanleihen über zwei bis drei Milliarden Euro erwartete. Auf einer Pressekonferenz in Budapest bestätigte Viktor Orban, dass er selbst die Entscheidung getroffen habe, Safarow auszuliefern. Es habe aserbeidschanische Garantien gegeben, den Mörder in Haft zu belassen. Auf einer Sitzung der Regierungspartei Fidesz soll Orban hingegen zugegeben haben, dass er mit der Freilassung des Mörders in seiner Heimat gerechnet habe, schreibt das Nachrichtenportal Origo.hu.

Die Schweiz ist nicht glücklich

Die heftige Kritik der armenischen Regierung, der Diaspora und auch der US-Regierung dürfte die ungarische Diplomatie sehr überrascht haben. Aussenminister Janos Martonyi sucht deshalb Verbündete in Europa, um das Verhältnis zu Armenien zu normalisieren. An erster Stelle auf der ungarischen Wunschliste steht die Schweiz. Es gehe dabei aber nicht um Vermittlung, sondern um «jede Art von Hilfe», sagte Martonyi der ungarischen Nachrichtenagentur MTI.

Martonyi besuchte am 3. September die Schweiz, hielt eine Rede an der Universität Zürich und traf danach in Bern seinen Amtskollegen Didier Burkhalter. Wer zuerst von Schweizer Hilfe sprach, ist umstritten. Der Bundesrat habe von sich aus gefragt, ob das EDA helfen könne, sagt Martonyis Sprecher Gabor Kaleta. Die Schweizer Seite hingegen betont, die informelle Anfrage sei am Rande des Treffens von den Ungarn gekommen. Dies wird indirekt durch die Präzisierung Kaletas bestätigt, dass die Schweiz nicht der einzige Adressat gewesen sei: Bei einem Treffen der EU-Aussenminister auf Zypern habe Martonyi alle Kollegen um Unterstützung gebeten. Aber die Schweiz habe eine besonders lange Tradition, Nationen zusammenzubringen, «wir zählen auf unsere Schweizer Freunde».

Die Schweizer Diplomatie hat tatsächlich einen guten Draht zu Armenien. Seit 2009 leitet sie Verhandlungen zwischen Armenien und der Türkei über die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen. Was aber die Anfrage aus Ungarn angeht, gibt man sich in Bern zurückhaltend: Die Schweiz sei grundsätzlich immer bereit, ihre Vermittlungsdienste anzubieten, heisst es lapidar. Voraussetzung sei allerdings, dass von beiden Seiten eine formelle Anfrage gestellt werde. In Armenien ist aber das Interesse an einer solchen Mediation vorerst gering: «Ungarn hat uns in eine sehr schwierige Lage versetzt», sagt Ashot Alexanian, Sprecher der armenischen Botschaft in Wien. «Wir sind nicht zu Verhandlungen bereit. Wir erwarten zuerst eine Erklärung und eine Entschuldigung aus Budapest.» Und auch in Bern dürfte man beim Stand der Dinge nicht besonders erfreut darüber sein, dass Ungarn öffentlich versucht, die Schweiz in die Sache hineinzuziehen. Im EDA gibt man jedenfalls zu verstehen, dass man die Affäre Safarow nicht einfach hinnehmen werde. Die Schweiz wolle beim nächsten Treffen mit dem aserbeidschanischen Botschafter die Auslieferung und Begnadigung Safarows «thematisieren».

Konflikt neu angeheizt

Der Konflikt zwischen den beiden Kaukasusstaaten begann mit dem Zerfall der Sowjetunion. 1991 erklärten die Armenier in der Enklave Berg-Karabach ihre Unabhängigkeit von Aserbeidschan und besetzten mithilfe der armenischen Armee einen Teil Aserbeidschans als Pufferzone. 30 000 Menschen starben, über eine Million wurden zu Flüchtlingen. Mit der Auslieferung Safarows hat Ungarn den schwelenden Konflikt neu angeheizt. Die Aserbeidschaner betrachten die Freilassung des Mörders als Triumph über den Erzfeind Armenien, und führende Politiker fordern jetzt lautstark, den nächsten Schritt zu setzen. Der Generalsekretär der regierenden Partei Neues Aserbeidschan, Ali Achmedow, verglich das Schicksal Safarows mit jenem der Enklave Karabach. Beide seien dem Feind zum Opfer gefallen, nach der Befreiung Safarows müsse nun die Befreiung Karabachs folgen.