Ungarns regierungskritische Zeitung wurde eingestellt

10. Oktober 2016

Die Journalisten von «Nepszabadsag» wurden am Wochenende putschartig von ihren Arbeitsplätzen entfernt. 

Hunderte Menschen versammelten sich am Samstagabend vor dem Budapester Parlament, um des Todes einer beliebten Tageszeitung zu gedenken. Einige hatten Kerzen mitgebracht, andere Europafahnen. Die Stimmung schwankte zwischen Wut und Resignation. Am selben Tag am frühen Vormittag hatte die Leitung des Konzerns Mediaworks bekannt gegeben, dass «Nepszabadsag» (deutsch: Volksfreiheit) ab sofort nicht mehr erscheinen werde. Die Tageszeitung habe permanent an Lesern verloren und es nicht geschafft, in die schwarzen Zahlen zu kommen. Mediaworks will sich nun auf seine rentablen Produkte, Lifestyle- und Sportmagazine, konzentrieren. 

«Nepszabadsag» war im Kommunismus die grösste ungarische Tageszeitung, mit einer Auflage über 300 000 Stück. Das Blatt überlebte die Wende und wurde zuerst von der deutschen Gruner + Jahr-Gruppe, danach von Ringier gekauft. Einen Minderheitsanteil behielt die sozialistische Partei MSzP. Die Auflage ging allerdings konstant zurück und lag zuletzt nur mehr bei etwa 40 000 Stück. 

Ringier wollte auch in Ungarn mit der deutschen Springer-Gruppe fusionieren und musste dafür einen Teil seines ungarischen Portfolios abgeben. 2014 verkauften die Schweizer ihre Anteile an «Nepszabadsag» an die Vienna Capital Partners (VCP) des österreichischen Investors Heinrich Pecina. Die Sozialisten verkauften ein Jahr später, ebenfalls an die VCP. Schon beim Verkauf gab es in Ungarn Gerüchte, dass Pecina nur Strohmann für ungarische Oligarchen sei, die der Regierung von Viktor Orban nahestehen. 

Orban und seiner Partei Fidesz war die sehr kritisch berichtende Zeitung ein Dorn im Auge. Die Abneigung wurde in den vergangenen Wochen nur stärker, als «Nepszabadsag» zwei Affären enthüllte, die Orbans engste Mitarbeiter betrafen. Die Redaktion glaubt deshalb, dass die Schliessung ein Racheakt der Regierung sei, und spricht von «Putsch». Zumindest die Art der Einstellung spricht für diese Theorie. Am Freitag wusste die Redaktion nur, dass sie aus einem modernen Bürogebäude im Zentrum Budapests wieder in ihr altes Redaktionshaus am Stadtrand ziehen sollte. Die Kartons waren gepackt, für die Einweihung am Sonntag war schon Pizza bestellt. 

Die Einstellung kam ohne Vorwarnung. Die Konzernleitung liess sofort die Redaktionscomputer und die Diensttelefone der Journalisten abschalten. Diese dürfen seither die Redaktionsräume nicht mehr betreten. Von Eigentümer Pecina gibt es keinen Kommentar, für den TA war er nicht erreichbar. Die Oppositionspartei Demokratische Koalition des ehemaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsany spricht von einer «beispiellosen Razzia der Regierung» gegen ein unabhängiges Medium. 

Andere regierungskritische Medien berichteten, dass Mediaworks von der österreichischen VCP heimlich an den ungarischen Konzern Duna aszfalt verkauft worden sei. Duna aszfalt gehört Lörinc Meszaros, einem ehemaligen Klempner und Freund Orbans, der durch merkwürdige Grundstücks- und Firmenkäufe zu einem der reichsten Unternehmer Ungarns aufsteigen konnte.

Orban hatte gleich nach seinem Erdrutschsieg bei den Wahlen 2010 die öffentlich-rechtlichen Medien umstrukturieren und die Führungsposten mit seinen Parteigänger besetzt. Private Medien wie etwas das Internetportal «Origo» wurde durch Austausch der Chefredaktion auf Linie gebracht. Kritische Medien werden durch den Entzug staatlicher Anzeigen «bestraft». Damit bricht deren wirtschaftliche Basis weg.

Die überfallsartige Einstellung einer kritischen Zeitung habe es in Ungarn aber noch nie gegeben, stellt die ehemalige Ressortleitering bei Nepszabadsag, Edit Inotai, fest. Auf der Homepage der Zeitung (www.nol.hu) ist seit Samstag nur mehr die Verlautbarung von Mediaworks zu sehen: Darin wird behauptet, dass das mediale Flaggschiff des Konzerns die «performance der gesamten Gruppe ungünstig beeinflusst» habe. In den vergangenen neun Jahren habe Nepszabadsag 9 Milliarden Forint (32 Millionen Franken) Verlust gemacht. Das Internetportal Index.hu glaubt hingegen, dass die Zeitung in letzter Zeit sogar einen kleinen Gewinn gemacht haben könnte.

Investieren wollte der österreichische Eigentümer jedenfalls nichts. Stellen wurden gekürzt, Abgänge nicht mehr nachbesetzt. Die Stimmung auf der Redaktion war von Angst und Unsicherheit geprägt. «Wenn die Besitzer eines Mediums immer nur streichen und sparen, kann kein guter Journalismus entstehen», sagt Edit Inotai. Das sei allerdings auch schon unter Ringier so gewesen. An die Schweizer, sagt Inotai, habe sie keine guten Erinnerungen.