Unterhaltung oder Propaganda

31. Mai 2012

Ungarns Regierungspartei Fidesz hat das umstrittene Mediengesetz geändert. Ein Kritiker warnt dennoch vor russischen Verhältnissen.

Für die Regierung ist der Streit um ihr international kritisiertes Medienrecht beigelegt. Vergangene Woche beschloss die Regierungspartei Fidesz mit ihrer absoluten Mehrheit einige Änderungen in dem Gesetzespaket: Der Quellenschutz wurde verstärkt, Journalisten müssen ihre Informanten nur mehr offenlegen, wenn es um schwere Verbrechen geht und sich ein Gericht die Informationen nicht auf anderem Weg beschaffen kann. Die Kontrolle von redaktionellen Inhalten von Printmedien durch die Medienbehörde NMHH wurde abgeschwächt.
 
Hat Ungarn nun ein Medienrecht, das europäischen Standards entspricht? Keineswegs, sagt Miklos Haraszti: «Mit diesem Medienrecht würde Ungarn heute niemals in die EU aufgenommen.» Der Philosoph Haraszti war im Kommunismus ein bekannter Regimekritiker und bis 2010 Beauftragter für Medienfreiheit in der OSZE. Heute unterrichtet er Medienrecht an einer Budapester Uni. Im Hintergrundgespräch mit Korrespondenten analysierte er die jetzige Reform.Mit ihrer Gesetzesnovelle reparierte die Regierungspartei zwar jene Teile des Medienrechts, die das oberste ungarische Gericht als verfassungswidrig beurteilt hatte. Nicht berücksichtigt wurde aber die Kritik von OSZE, Europarat und der EU. Denn die Medienbehörde bleibt weiterhin parteipolitisch besetzt und agiert als verlängerter Arm der Regierung. Die Entscheidungen des Medienrats (des Exekutivorgans der Medienbehörde NMHH) können zum Teil nicht einmal vor einem Gericht angefochten werden. Weil schwere Verstösse gegen das Mediengesetz noch immer mit existenzbedrohend hohen Strafen geahndet werden können (ohne, dass der Begriff «schwer» im Gesetz näher definiert wird), sei in den meisten Medienunternehmen Selbstzensur Gang und Gäbe, sagt Haraszti. Als tatsächlich unabhängig sieht er nur noch Online-Nachrichtenportale. Grosse Sorgen macht Haraszti der Zustand von Radio- und Fernsehsendern. Die öffentlich-rechtlichen Sender sowie die staatliche Nachrichtenagentur MIT werden vollständig von regierungstreuen Vasallen kontrolliert. Die grossen privaten TV-Sender müssen dieses Jahr ihre Lizenz erneuern und haben sich den Programmvorgaben der Regierung gefügt: viel Musik, viele Shows, wenig Information. In Ungarns elektronischen Medien herrschten russische Verhältnisse, sagt Haraszti: «Es gibt nur mehr Unterhaltung oder Propaganda.»