Viktor Orban erhält einen ernsthaften politischen Gegner

24. Oktober 2012

Bei einer Kundgebung zum Nationalfeiertag in Budapest hat Ex-Premier Gordon Bajnai seine Rückkehr in die Politik angekündigt. Er gilt als einzige Figur der Opposition, die die Regierung gefährden könnte.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Die Organisatoren hatten ganze Arbeit geleistet, und auch das Wetter spielte mit. Am gestrigen sonnigen und milden Herbsttag war ganz Budapest auf den Beinen. Alle gedachten an diesem Nationalfeiertag des Aufstands gegen die Kommunisten vor 56 Jahren. Aber Regierung und Opposition taten es streng getrennt voneinander. In der politisch polarisierten Stimmung Ungarns im Jahr 2012 sind Gedenkfeiern über ideologische und parteiliche Grenzen hinweg undenkbar.

Im Norden der Stadt marschierten die Sympathisanten der Regierungspartei Fidesz über die Margitbrücke von der Budaer Seite zum Kossuth-Platz vor dem Parlament. Zu diesem «Friedensmarsch» hatten der antisemitische Kolumnist Zsolt Bayer und der rechte Publizist Andras Bencsik aufgerufen. Fidesz steuerte, wie auch schon beim ersten Friedensmarsch im Januar, die Logistik bei und liess in gecharterten Cars Anhänger aus dem ganzen Land in die Hauptstadt bringen. Sie trugen Transparente mit Parolen gegen den Internationalen Währungsfonds («Wir werden keine Schuldensklaven») und Tafeln mit dem Foto von Regierungschef Viktor Orban. Laut staatlicher Nachrichtenagentur MTI nahmen über 100 000 Menschen am Friedensmarsch teil.

Orban sprach zu ihnen vor dem Parlamentsgebäude und bekräftigte dabei seine harte Haltung gegenüber dem IWF und der EU: «Wir akzeptieren nicht, dass uns andere vorschreiben wollen, was wir in unserem Land tun dürfen oder nicht.» In den Tagen vor der Kundgebung hatte die ungarische Regierung in allen Tageszeitungen ganzseitige Inserate schalten lassen, in denen sie das Versprechen abgab, sich niemals dem Druck des Währungsfonds zu beugen.

Die ausserparlamentarischen Oppositionsgruppen versammelten sich im Süden der Stadt, auf dem Pester Brückenkopf der Elisabethbrücke. Erstmals konnten sich Facebook-Initiative Milla (Eine Million für die Medienfreiheit), die Gewerkschaftsbewegung Szolidaritas und der Thinktank Heimat und Fortschritt des ehemaligen Ministerpräsidenten Gordon Bajnai auf eine gemeinsame Kundgebung einigen.

Schicksalswahl in zwei Jahren

In seiner ersten öffentlichen Rede seit zwei Jahren erklärte Bajnai vor mehreren Zehntausend Zuhörern die Gründung der gemeinsamen Wählerbewegung «Zusammen 2014». Mit ihr will er bei den Parlamentswahlen 2014 gegen Viktor Orban antreten. Meinungsforscher sehen in Bajnai die einzige Persönlichkeit der Opposition, die Orbans Position ernsthaft gefährden könnte. Das musste gestern auch der ehemalige sozialistische Parteichef und Premier Ferenc Gyurcsany anerkennen, der sich in einer Rede vor Anhängern seiner neu gegründeten linksliberalen Demokratischen Koalition hinter Bajnai stellte. Neben Bajnai wird der charismatische ehemalige Offizier und Gründer der Szolidaritas (Solidarität), Peter Konya, an der Spitze der Wahlbewegung stehen.

Der 44-jährige, parteilose Bajnai war ab 2006 drei Jahre lang Minister in der sozialistischen Regierung Gyurcsanys erst für nationale, dann für regionale Entwicklung. Als Gyurcsany nach Protesten gegen seine «Lügenrede» und wegen Korruptionsskandalen 2009 zurücktreten musste, übernahm Bajnai bis zu den Wahlen 2010 die Regierungsgeschäfte und zog ein dringend notwendiges, aber sehr unpopuläres Sparprogramm durch. Nach dem überwältigenden Wahlsieg von Fidesz zog er sich aus der Politik zurück. Am Dienstag erklärte Bajnai auf der Bühne vor der Elisabethbrücke seine Rückkehr in die Politik, weil er jetzt verstehe, «dass es 2014 nicht um eine Wahl, sondern um unser Schicksal gehen wird».

Front National zu Besuch

Aus Anlass des Nationalfeiertags hielten auch die kleine grüne Oppositionspartei LMP und die rechtsextreme Jobbik Kundgebungen ab. Bei der Jobbik sprach ausser dem Parteivorsitzenden Gabor Vona der Chefideologe des französischen Front National, Bruno Gollnisch.

Am Tag zuvor hatten Anhänger und Politiker von Jobbik für mehrere Stunden den Grenzübergang zur Slowakei nahe der Gemeinde Rajka blockiert. Der Grund war die Annonce einer slowakischen Immobilienfirma im nahen Bratislava, die billige Immobilien in Rajka anbot. Weil Wohnungen in Bratislava vor allem für Familien unbezahlbar werden, zügeln viele Slowaken ins benachbarte Ungarn. Die ungarischen Rechtsextremen empfinden das als Bedrohung: Rajka sei «kein Teil Bratislavas», skandierten sie.