Viktor Orbans guter Geist in Bern

2. April 2015

Er leitete eine Privatbank in Genf, hatte beste Kontakte in den arabischen Raum. Jetzt ist Istvan Nagy ungarischer Botschafter mit besonderen Beziehungen zum Regierungschef. 

Besondere Geltungssucht kann man Istvan Nagy nicht vorwerfen. Ungarns ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter in Bern ist in diplomatischen Kreisen ein unbeschriebenes Blatt und gibt auch auf der Website der ungarischen Botschaft nicht viel von sich preis: keine Biografie, nur Willkommensworte, in denen Nagy die guten ­Beziehungen der beiden Länder lobt.

Eine ungarische Zeitung behauptet nun, dass diese Bescheidenheit weniger mit der Persönlichkeit des Botschafters als dessen Tätigkeit für Ministerpräsident Viktor Orban zu tun habe. Die Wochenzeitung «Vasárnapi Hírek» («Sonntägliche Nachrichten») schreibt, dass Nagy in ungarischen Regierungskreisen nur als «Orbans Schweizer Banker» bekannt sei. Die Zeitung beruft sich auf mehrere Auskunftspersonen, nennt jedoch keine Namen. Der TA wollte von Nagy wissen, ob die Bezeichnung zutreffe, bekam jedoch keine Antwort. 


Viktor Orban und Botschafter Nagy im Zürcher HB. Foto: 444.hu

«Vasárnapi Hírek» steht der linken Opposition nahe. Doch die Zeitung liefert Informationen zur Biografie des Botschafters, die sich anhand Schweizer Dokumente überprüfen lassen. Nagy ist amerikanischer Staatsbürger, weil er nach der Niederschlagung des Volksaufstands 1956 aus Ungarn in die USA floh. Dort nannte er sich Stephen (die englische Übersetzung von Istvan) und machte Karriere im Finanzsektor. Vermutlich lernte er in Amerika auch einen Sohn der libanesischen Bankiersfamilie Audi kennen. Bank Audi ist die grösste Bank im Libanon und seit 1976 in der Schweiz vertreten. Es begann mit einer Niederlassung in Zürich, später wurde daraus ein repräsentatives Bankhaus im Zentrum Genfs.

2005 wurde Istvan Nagy CEO der Banque Audi Suisse, 2012 ging er in Pension. Kurz danach wurde er zum ausserordentlichen Botschafter in Bern bestellt. Orban, schreibt die ungarische Zeitung, habe Nagy drei Jahre zuvor kennen gelernt, als der Banker auch Honorarkonsul in Bern war. Aufgrund seiner ausgezeichneten Beziehungen in den arabischen Raum sei Nagy vom Regierungschef zum Beauftragten für ungarisch-arabische Beziehungen gemacht worden und habe etliche Reisen Orbans in den Libanon und nach Saudiarabien eingefädelt. Auch bei der bislang letzten Reise der ungarischen Regierung nach Saudiarabien im März 2014 nahm Nagy teil, obwohl er als Botschafter in der Schweiz keinen Grund dazu hatte. Während der Reise freute sich Orban über einen «Durchbruch bei den ungarisch-arabischen Beziehungen» und lud die Saudis zu Investments ein, denn in Zentraleuropa sei «viel Geld zu machen». In Orbans Umfeld werde Nagy «Mr. Arabien» genannt, schreibt «Vasárnapi Hírek».

Nagy begleitete den ungarischen Regierungschef auch auf dessen Besuchen in der Schweiz im vergangenen Jahr, deren Anlass und Hintergründe im Dunkeln liegen. Im August 2014 kam Orban in Begleitung seiner Frau, seines Kanzleramtsministers und dessen Frau spontan auf der Rückreise aus Deutschland nach Zürich, offiziell, um das Konzert eines rumänischen Kinderchors im Grossmünster zu hören. Derselbe Chor war allerdings kurz zuvor in Ungarn und sogar im ungarischen Parlament aufgetreten. Die Erklärung wirkte daher wie eine Schutzbehauptung, um den wahren Grund der Reise zu verschleiern. Noch einmal kamen Orban und seine Frau im Oktober 2014 in die Schweiz, offiziell um ihre Tochter Rahel zu besuchen, die in einer privaten Hotelschule in Lausanne studiert. Dieses Mal wählte der Regierungschef den langsamen Weg zurück: Vierzehneinhalb Stunden im Liegewagen des Wiener Walzers von Zürich nach Budapest. Das Internetportal 444.hu veröffentlichte einen Schnappschuss vom Zürcher HB, auf dem Orban in der SBB-Lounge zu sehen ist, gemeinsam mit einem älteren, weisshaarigen Mann.

Erwerbsarbeit nicht gestattet

Damals wollte auf Anfrage des «Tages-Anzeigers» niemand diesen Mann kennen. Selbst die Sprecherin der ungarischen Botschaft in Bern behauptete, sie wisse nicht, wen Orban getroffen habe. Dass Botschafter Nagy den Regierungschef zum Zug gebracht hatte, war offenbar ein grosses Geheimnis. Ebenso geheimnisvoll ist bis heute, warum Orban die lange Nachtfahrt mit der Eisenbahn einem einstündigen Flug vorzog. Sein Pressebüro gibt dazu keine Auskunft.

Die Schweiz spielt auch in den Berichten ungarischer Medien über Korruptionsaffären im Umfeld Orbans eine Rolle (der TA berichtete). Die ungarische Tochter der Zuger Gashandelsfirma MET machte Milliardengewinne, weil sie Erdgas in Westeuropa billig einkaufen und in Ungarn teurer verkaufen konnte. Die dafür notwendigen rechtlichen Bedingungen schuf die Regierung, die Profite verschwanden in einem Netzwerk von Offshore-Firmen, deren Spuren einerseits nach Russland, anderseits aber zum ungarischen Oligarchen Istvan Garancsi führen, einem Freund Orbans.

Sollte Nagy tatsächlich als Finanzverwalter oder Bankberater für Viktor Orban tätig sein, könnte ihm das Probleme mit der Wiener Diplomatischen Konvention bescheren. Die schreibt Diplomaten vor, dass sie im Empfangsstaat keinen freien Beruf und keine gewerbliche Tätigkeit ausüben dürfen, «die auf persönlichen Gewinn gerichtet sind». Allerdings können in der Schweiz die kantonalen Behörden ausländischen Diplomaten eine Nebentätigkeit im Ausmass von 10 Stunden pro Woche genehmigen.

Das EDA will zum Wirken des ungarischen Botschafters in der Schweiz nicht Stellung nehmen. Medienberichte kommentiere man grundsätzlich nicht.