Viktor Orbáns schöne neue Fussballwelt

15. Oktober 2013

Neue Stadien, Millionen für Vereine: Ungarns Regierungschef will sein Land zur Fussball-Supermacht machen. Doch die Leistung des Nationalteams bleibt bescheiden.

Das Ergebnis war ein Schock für das ganze Land. Mit 1:8 verlor Ungarn am Freitagabend in Amsterdam den Qualifikationsmatch für die WM 2014 gegen die Niederlande. Die Ungarn liegen nun in ihrer Gruppe an vierter Stelle, hinter Rumänien und der Türkei. Nur ein Wunder könnte sie jetzt noch nach Brasilien bringen. Ein Sieg beim Match gegen Andorra wird nicht reichen, es müssten auch die um den zweiten Gruppenplatz konkurrenzierenden Mannschaften haushoch verlieren.


Viktor Orbáns Landhaus, direkt neben der Baustelle des neuen Fussballstadions in Orbáns Geburtsort Felcsút. Foto: B. Odehnal 

Der Schock ist besonders gross, weil Fussball in Ungarn seit Amtsantritt der Regierung von Viktor Orbán eine politische Angelegenheit ist. Der 50-Jährige ist begeisterter Hobbyspieler und machte den Sport zur Priorität in der Regierungsarbeit. Über 400 Millionen Franken fliessen seit dem Wahlsieg von Orbáns Partei Fidesz in den Bau neuer Stadien und die Förderung seiner Lieblingsvereine. Orbans Welt dreht sich um den Fussball, und wer dem Ministerpräsidenten nahe steht, hat auch in dieser Fussballwelt eine wichtige Funktion.

So zum Beispiel Sándor Csányi, Vorstandsvorsitzender der grössten ungarischen Bank OTB, Besitzer von Ländereien und Lebensmittelbetrieben: Er ist Präsident des ungarischen Fussballverbands. Oft sitzt Csányi neben Orbán auf der Tribüne, wenn deren Lieblingsclubs Ferencváros oder Videoton spielen. Der VIP-Bereich im Stadion ist in Orbáns Ungarn zum Pendant der Tribünen an der Moskauer Kremlmauer geworden: ein reiches Analysefeld für «Orbanologen» und ein guter Indikator, wer gerade mehr und wer weniger in der Gunst des Regierungschefs steht.

Der grösste Budapester Fussballverein, Ferencváros, wird von Fidesz kontrolliert. Vereinsvorstand Gábor Kubatov ist hauptberuflich Generalsekretär der Regierungspartei. Die Fanclubs des Vereins sind für ihre Nähe zum Rechtsextremismus und ihre Gewaltbereitschaft bekannt. Ende April wurde der Vorsitzende der Raoul-Wallenberg-Vereinigung von Hooligans niedergeschlagen, weil er sie aufforderte, «Sieg Heil!»-Rufe zu unterlassen. Dennoch werden die Fanclubs von Fidesz für Ordnerdienste bei Parteiveranstaltungen und vor der Parteizentrale eingesetzt.

Bewerbung für EM 2020

Nach antisemitischen Ausfällen bei einem Länderspiel gegen Israel verurteilte die Fifa den ungarischen Fussballverband zu einer Geldstrafe und zur Austragung des WM-Qualifikationsspiels gegen Rumänien in Bukarest vor leeren Rängen. Ungarische Fussballfans kamen dennoch in die rumänische Hauptstadt und attackierten eine Roma-Siedlung.

Trotz des schlechten Rufs der ungarischen Fans möchte Orbán Budapest zu einem der Austragungsorte der EM 2020 machen, die in ganz Europa stattfinden soll. Dafür soll das altersschwache Ferenc-Puskás-Stadion für 300 Millionen Franken komplett umgebaut und modernisiert werden. Daneben soll auch der Verein Ferencvaros ein neues Stadion bekommen, mit angeschlossenem Einkaufszentrum. Dafür stünden rund 50 Millionen Franken Subvention bereit, schreibt die Onlinezeitung «Pester Lloyd».

Dabei liegt das Zentrum von Orbáns schöner neuer Fussballwelt gar nicht in Budapest, sondern in seinem Geburtsort Felcsút, 30 Kilometer westlich der Hauptstadt. Dort haben eine private Stiftung Orbáns sowie seine Freunde und Familienmitglieder viel Land, Gutshöfe und Hotels gekauft sowie eine FussballAkademie eröffnet. Nun bekommt der 1800-Einwohner-Ort neben dieser «Ferenc-Puskás-Akademie» (benannt nach Ungarns Fussballhelden der 50er-Jahre) auch noch ein Stadion für 3500 Besucher. Der Rohbau ist fast fertig, die mächtigen Betonsäulen werfen ihren Schatten auf Orbáns kleines Landhaus in unmittelbarer Nachbarschaft.


Das Haupthaus der Fussball-Akademie in Felcsút, umgebaut nach Plänen des ungarischen Stararchitekten Imre Markovecz. Foto: B. Odehnal

Die «organische Architektur» des Stadions und der Akademie, mit Holzverstrebungen, die an menschliche Rippen erinnern sollen, stammen vom 2011 verstorbenen Architekten Imre Makovecz. Das Makovecz-Stadion soll rund 20 Millionen Franken kosten und kurz vor den Wahlen im Frühjahr 2014 eröffnet werden. Bezahlt werde der Bau ausschliesslich durch private Spenden, heisst es auf der Website der Akademie. Allerdings ermöglicht ein neues Gesetz, dass Spenden für «spektakuläre Teamsportarten» fast vollständig von der Steuer abgeschrieben werden können.

Abgesehen von der Monsterbaustelle, sieht Felcsút aus wie viele andere Dörfer in der ungarischen Tiefebene. Die Alten bleiben, die Jungen ziehen weg. Geschäfte schliessen, viele Häuser stehen zum Verkauf. Der öffentliche Verkehr ist auf eine Buslinie in den Nachbarort beschränkt. Der lokale Fussballverein FC Felcsút war ein weitgehend unbekannter Zweitligist.


Vogel Turul und Szeklerfahne: Die Symbole grossungarischer Machtansprüche vor dem kleinen Gemeindehaus in Felcsút. Foto: B. Odehnal

Im kommenden Jahr, wenn das Stadion fertiggestellt ist, will Orbán jedoch die Endrunde der U-19-Europameisterschaft nach Felcsut holen. Der FC Felcsút konnte dank einer Finanzspritze aus der staatlichen Fussballförderung bereits in die erste Liga aufsteigen. Laut ungarischen Medien war dieser Aufstieg der Regierung knapp 10 Millionen Franken wert. Andere Vereine erhielten höchstens 2 Millionen. Bis jetzt zeigen die Ausgaben beim ungarischen Fussball freilich wenig Auswirkungen. Sofort nach dem Debakel von Amsterdam trat Nationaltrainer Sándor Egervári wegen der «miserablen Vorstellung» seiner Mannschaft zurück. Mit der Erklärung: die Gegner seien Ungarn leider «in allen Belangen weit überlegen».