Vom hoffnungslosen Fall zum Mann der Stunde

25. Januar 2013

Ausländischer Staatsbürger, Adliger, Intellektueller: Karel Schwarzenberg hat viele Eigenschaften, die den Tschechen suspekt sind. Dennoch könnte er jetzt zum Staatspräsidenten gewählt werden.

Wie kann man nur so falsch singen? Und so laut noch dazu. Mit tiefem Bass brummte Karel Schwarzenberg in der Siegesfeier nach der ersten Runde der Präsidentenwahlen die tschechische Hymne. Nur traf er dabei keinen einzigen Ton richtig, und der schöne Text von der Suche nach dem Vaterland schmolz unter seinem Schnauzbart zu unergründbarem Nuscheln.

Schwarzenbergs Anhänger stören die falschen Töne nicht im Geringsten. Im Gegenteil, sie bestärken das Image des 75-jährigen Aussenministers als Querkopf, der sich wenig darum schert, ob ihm seine Aussagen und Auftritte nun Kritik einbringen oder ihn lächerlich machen. Der einfach das macht, was er will und was er für richtig hält.

«Unterschätzen sie meine Boshaftigkeit nicht» lautet der Titel einer Schwarzenberg-Biografie der österreichischen Journalistin Barbara Toth. Man könnte ihn dieser Tage in «Unterschätzen sie meine Beliebtheit nicht» abwandeln. Vor der ersten Runde der tschechischen Präsidentenwahl galt Schwarzenberg bei Umfrageinstituten als hoffnungsloser Fall, höchstens 10 Prozent wurden ihm prognostiziert. Er schaffte einen Überraschungserfolg, landete hinter Miloš Zeman mit 23 Prozent an zweiter Stelle und tritt nun bei der Stichwahl vom Freitag und Samstag (in Tschechien wird immer an zwei Tagen gewählt) gegen den ehemaligen sozialdemokratischen Regierungschef an.

Perfider Angriff von Klaus

Dabei ist Schwarzenberg eigentlich so ziemlich alles, was Tschechen misstrauisch macht oder was sie traditionell ablehnen: Adliger, Katholik, Intellektueller, Ausländer mit Schweizer Pass und Wohnsitz in Österreich. Seine Gegner spielten in der letzten Phase des Wahlkampfs diese Karten auch genussvoll aus. Der noch amtierende Präsident Vaclav Klaus hatte zwar angekündigt, sich in die Wahl seines Nachfolgers nicht einzumischen, gab dann aber doch eine Wahlempfehlung für Zeman ab, indem er Schwarzenberg beschuldigte, sich zu viel im Ausland aufzuhalten (TA vom Dienstag): Präsident solle nur jemand werden, der zu Tschechien gehöre und «sein Leben hier verbracht hat».

Der Angriff war besonders perfid, weil er auf Schwarzenbergs erzwungenes Exil vor dem Fall des Eisernen Vorhangs zielte. Die Adelsfamilie wurde 1948 von den Kommunisten enteignet und floh in die Schweiz und nach Österreich. Karel unterstützte von dort aus die Dissidentenbewegung rund um Vaclav Havel. Zum Dank machte ihn Havel nach 1989 zum Kanzler in der Präsidentschaftskanzlei auf der Prager Burg. Vaclav Klaus lebte zwar immer in der Tschechoslowakei, konnte aber auch im kommunistischen Regime Karriere machen. Zum Kreis der Charta 77 hielt er, ebenso wie Miloš Zeman, Abstand.

Es ist Schwarzenbergs Geschichte und seine unkonventionelle Art der Politik, die ihn bei jungen Wählern, Intellektuellen und dem liberalen Bürgertum in den Städten beliebt machen. Seine Wahlkampagnen waren immer auf diese Zielgruppen ausgerichtet. Als er für den Senat, das Oberhaus des Parlaments, kandidierte, fuhr er mit einem rosa angemalten Panzerwagen durch die Strassen Prags. Für den Präsidentenwahlkampf engagierte er den jungen Künstler David Cerny, der bereits in Brüssel für Aufregung gesorgt hatte, als er sich während der tschechischen EU-Präsidentschaft mit einem Relief über die Eigenarten der Mitgliedsländer lustig machte.

Für Schwarzenberg entwarf Cerny ein Logo, das den Fürsten mit IrokesenHaarschnitt und dem Schriftzug «Karel for President» zeigte, der an das berühmte Plattencover der Sex Pistols erinnert. Bei anderen, auch deutlich jüngeren Politikern, würden solche Inszenierungen gekünstelt und peinlich aussehen. Schwarzenberg aber wirkt selbst noch als Punk authentisch, die Botschaft: «ich gehöre nicht zum Establishment» kommt bei den Wählern an. Auch sein unkonventionelles Privatleben schadet ihm bei jüngeren Wählern keineswegs: Er hatte sich von seiner Frau, einer österreichischen Gräfin, scheiden lassen und heiratete sie ein paar Jahre später wieder mit der Begründung, dass manche Probleme sich im Alter von selbst lösten.

Mehr Moral und Ehrlichkeit

Und schliesslich wird auch Schwarzenbergs Nähe zum verstorbenen Havel wieder mehr geschätzt. Die Tschechen wollen mehr Moral und Ehrlichkeit in der Politik sehen, das System des neoliberalen Pragmatikers Klaus hat sich nach zahlreichen Korruptionsfällen selbst diskreditiert. Zeman spielte seine Rolle in diesem System, er teilte sich als Regierungschef mit dem damaligen Oppositionsführer Klaus die Macht im sogenannten «Oppositionsvertrag». In einer TV-Debatte vor der zweiten Runde der Präsidentenwahlen nannte Schwarzenberg deshalb seinen Kontrahenten einen «Mann der Vergangenheit». Worauf Zeman konterte, Schwarzenberg sei der «Mann der Gegenwart» – was keineswegs anerkennend gemeint war.

Schwarzenberg gründete 2009 seine eigene Partei «Top09» und zog auf Anhieb ins Parlament und in die Regierung ein. Als Minister einer Vier-Parteien-Koalition muss er nun aber das unpopuläre Sparpaket verteidigen, das junge Familien, schlecht Verdienende und Pensionierte besonders hart trifft. Dass Schwarzenberg in einer Diskussion auch noch die «Beneš-Dekrete» in Frage stellte, mit denen die deutsche Minderheit 1945 enteignet und vertrieben wurde, liess seine Unterstützung unter Senioren in den Keller rasseln. Die sudetendeutsche Karte sticht immer noch: Ältere Tschechen würden eher die Rückkehr der Kommunisten als der deutschen Minderheit akzeptieren. Klaus und Zeman schürten sofort die Ängste: Dass Schwarzenberg die Dekrete aufheben wolle, könne er ihm «niemals verzeihen» meinte Klaus voller Pathos.

Auch in der Frage der Aufarbeitung der Vergangenheit und der Aufhebung der umstrittenen Dekrete kann Schwarzenberg mit Unterstützung der jüngeren Generationen rechnen. Sie kennen die Nachbarländer von Reisen und Austauschstipendien, sie fürchten sich weder vor Deutschen noch Österreichern. Das Problem für den Kandidaten ist der demografische Wandel Tschechiens: Die Gesellschaft ist überaltert, es gibt deutlich mehr alte als junge Wähler.