Vorwärts in die Vergangenheit

11. März 2016

Marian Kotleba hetzte gegen Roma und Juden. Jetzt sitzt er im slowakischen Parlament.

Am zweiten Tag nach den Parlamentswahlen holte der slowakische Staatspräsident Andrej Kiska die Parteiführer zu Sondierungsgesprächen zu sich: erst den ruppigen Sozialdemokraten Robert Fico, dessen Partei Smer verlor, aber deutlich vor allen anderen Parteien liegt. Dann den selbstbewussten Neoliberalen Richard Sulík, dann einen Populisten, einen Millionär, einen Nationalisten und den Vertreter der ungarischen Minderheit. Nur einer durfte den Präsidentenpalast nicht betreten. Präsident Kiska erwähnte nicht einmal seinen Namen, warnte nur vor «radikalem politischem Extremismus in Uniform».

Der Ausgeschlossene schäumte: Der Präsident missachte den Willen von über zweihunderttausend Wählern, er trete damit die demokratischen Werte mit Füssen, postete Marian Kotleba, Führer der «Volkspartei Unsere Slowakei» (LSNS). Von seinen Anhängern bekam er Rückendeckung: «Lass dich nicht einschüchtern, Marian!», «Kiska ist ein Büttel der Amerikaner», «Das Volk ist mit uns».

Am selben Abend ging das Volk auf die Strasse. Gegen Kotleba und seine Partei. Über 5000 Menschen beteiligten sich am Protestmarsch in der Hauptstadt Bratislava. Sie trugen Transparente mit durchgestrichenen Hakenkreuzen und der Forderung «Stoppt den Faschismus». Der Protest richte sich gegen den Einzug einer «klerikofaschistischen Partei» ins Parlament, erklärte eine Organisatorin: Die LSNS predige Hass.

Land ohne Regierung

Anfang Juli wird die Slowakei den Ratsvorsitz der EU übernehmen. Ob das Vorsitzland dann eine neue Regierung haben wird, ist ungewiss. Sicher ist, dass es in einem Parlament mit acht Parteien schwer wird, stabile Mehrheiten zu finden. Sicher ist auch, dass in diesem Parlament mit 150 Sitzen 14 Abgeordnete einer neofaschistischen Partei sitzen, die sich in Organisation und Auftreten kaum von historischen Vorbildern unterscheidet. Wenn der Vorsitzende und Gründer Marian Kotleba der LSNS bei Parteiveranstaltungen auftritt, dann schallt ihm aus rauen Männerkehlen «Es lebe der Führer!» entgegen. Kotleba grüsst mit «Na straz» zurück: auf Wache! So grüssten die slowakischen Schlächter im Dienste Adolf Hitlers.

Marian Kotleba kommt aus der Mitte der Slowakei. Die Industriestadt Banska Bystrica galt lange als rote Hochburg, der kommunistische Widerstand versuchte hier 1944 einen Aufstand gegen die deutsche Wehrmacht. Er scheiterte. Seit der Wende geht es mit der Region wirtschaftlich bergab, der Wohlstand des Landes konzentriert sich anderswo.


Marian Kotleba in seiner Heimatstadt Banska Bystrica (2009). Foto: B. Odehnal

Der heute 38-jährige Kotleba unterrichtete Informatik am Gymnasium, wurde aber nach Protesten der Eltern in die Administration versetzt. Seine ausserschulischen Aktivitäten waren kein Geheimnis: In einer kleinen Seitengasse nahe des barocken Hauptplatzes betrieb er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Marek das Geschäft Rightwear, in dem sie Kleidung für modebewusste Neonazis verkauften. Geschmückt war das Kellerlokal mit Bildern von deutschen Landsern. Marek Kotleba wurde wegen Verbreitung extremistischer Propaganda zu einer Geldstrafe verurteilt. Der professionelle Ringer erklärte, er habe die Symbole nicht als neonazistisch erkannt.

Schwarze Uniformen, schwarze Stiefel

Auch gegen Marian Kotleba ermittelten die Behörden: 2008 wurde seine «Slowakische Gemeinschaft» verboten. Viele Mitglieder hatte die Gruppe nie, aber ihre Aktionen sorgten für gewaltiges mediales Echo. In schwarzen Uniformen und schwarzen Stiefeln marschierten Kotleba und Kameraden durch Dörfer, in denen viele Roma leben, und versprachen den «weissen» Dorfbewohnern Schutz vor «Zigeunerkriminalität». Kotleba wurde verhaftet, es kam zu Schlägereien seiner Anhänger mit der Polizei, einmal griffen die Neonazis auch die Teilnehmer der Gay-Pride-Parade an.

Unter den Dorfbewohnern gewann Kotleba Ansehen. Sie fühlten sich von der Regierung im Stich gelassen, und nun kam jemand, der Schutz versprach. Dass dieser Heilsbringer Erinnerungen an längst vergangene Zeiten weckte, störte seine Zuhörer nicht. Viele von ihnen wünschen sich diese Zeiten zurück.

Auf einen Nationalstaat mussten die Slowaken lange warten. Eintausend Jahre lebten sie unter ungarischer Herrschaft, dann, nach dem Untergang der Monarchie 1918, im Verbund mit den dominanten Tschechen in der Tschechoslowakei. Schon in den 20er-Jahren wollte der katholische Priester Andrej Hlinka mit seiner «Volkspartei» Autonomie für die Slowaken durchsetzen. Sein Nachfolger, der Priester Jozef Tiso, paktierte mit Hitler und erklärte nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Böhmen und Mähren 1939 die Slowakei für selbstständig.

Tief verankerter Judenhass

De facto führte der fanatische Antisemit Tiso einen Vasallenstaat Hitler-Deutschlands. Für den Terror im Inneren war die paramilitärische «Hlinka-Garde» zuständig. In ihren schwarzen Uniformen machten die Gardisten Jagd auf Linke und Juden. 70'000 slowakische Juden starben in deutschen KZ. Für jeden Juden, der in ein Vernichtungslager deportiert wurde, zahlte die Slowakei den Nazis 500 Reichsmark «Transportkosten».

Kotleba sagt, Tisos Slowakei sei «sicher nicht ohne Fehler» gewesen: «Aber es war der erste moderne slowakische Staat.» Das gerichtliche Verbot seiner «Gemeinschaft» konnte ihn nicht aufhalten. Er gründete eine Partei und nannte sie in Anlehnung an das historische Vorbild von Hlinka und Tiso «Volkspartei», mit dem Zusatz: «Unsere Slowakei». Die antisemitische Tradition setzte die Partei fort: Sie schimpfte Regierungschef Robert Fico einen «Diener des Zionismus». Der Hass auf die Juden ist in der Slowakei allerdings tief in der Gesellschaft verankert. Als ein katholischer Priester vor eineinhalb Jahren von der Kanzel herab erklärte, die Juden seien selbst schuld am Holocaust und bald könnte es den Roma genauso ergehen, gab es nur eine kurze Erregung.


«Für Gott und Volk»: Demonstration von Kotlebas «Slowakischer Gemeinschaft» in Bratislava (2009). Foto: B. Odehnal

Die schwarzen Uniformen legten Kotleba und Kameraden mit der Zeit ab, vielleicht erschienen sie ihnen doch zu retro. Seither marschieren sie in Militärhosen mit grünem Tarnmuster. Und manchmal sogar in Zivil. Geblieben sind Kotlebas dünner Schnurrbart und die kurz geschnittenen Haare. Seine bulligen Begleiter bevorzugen glatt rasierte Schädel. Was seine Anhänger (es sind hauptsächlich Männer) an ihrem «Vodca» (Führer) finden, ist nicht leicht zu verstehen. Kotleba spricht weder laut noch mitreissend. Er wirkt überhaupt nicht so, als würde er sich sehr für seine Umwelt interessieren. Doch Kotleba muss sich gar nicht bemühen. Er muss nur vor Ort sein, muss so tun, als habe er ein offenes Ohr für die Probleme der kleinen Leute mit Arbeitsplatzmangel, mit Korruption, mit den grossen Roma-Ghettos. Seine Wähler kommen aus der Arbeiterschicht, viele hatten früher für die Sozialdemokraten von Robert Fico gestimmt. Doch in diesem Wahlkampf war Fico mit seiner rassistischen Kampagne gegen Flüchtlinge und Muslime kaum noch von Kotleba zu unterscheiden.

«Yankees go home! Stop Nato!»

Lange galt Kotlebas Partei als Randerscheinung: lästig, aber nicht wirklich bedrohlich. 2009 erhielt er bei den Wahlenzum Regionalpräsidenten eines Landkreises 10 Prozent. 2013 gewann er die Wahlen. Seither hat er ein Büro, hat er Mitarbeiter, einen Dienstwagen, Macht. Die ist zwar durch das Regionalparlament eingeschränkt, aber Kotleba kann symbolische Handlungen setzen. So liess er 2014 am 70. Jahrestag des Nationalaufstands am Regierungs­gebäude ein Transparent mit der Aufschrift «Yankees go home! Stop Nato!» anbringen.

Härter traf es die Schulen in Banska Bystrica, die ein Sanierungsprogramm abblasen mussten, weil Kotleba keine EU-Mittel annehmen wollte. Die von ihm angekündigte Bekämpfung der Korruption hält sich in Grenzen. Mehrere Fälle von Vetternwirtschaft wurden bekannt. Unter anderem beschäftigt das Gemeindeamt jetzt Kotlebas Gattin Frederika. Der Parteiführer hatte die heute 20-Jährige bei einem seiner Aufmärsche kennen gelernt. Sie wurde sein Fan, dann seine Frau.

Der mässige Erfolgsnachweis schreckte die Wähler nicht ab. Mit 8,3 Prozent erreichte «Unsere Slowakei» bei den Parlamentswahlen vergangene ­Woche den fünften Platz, nur knapp hinter der «Slowakischen Nationalpartei», die ihren Nationalismus leicht gemässigt hat und über die Kotleba nur mit tiefer Verachtung spricht. Die slowakischen Neonazis sind jetzt reich. Als Parlamentspartei erhalten sie rund 1,8 Millionen Euro staatliche Parteienförderung.

Export ins Nachbarland

Bejubelt wird Kotlebas unerwarteter Wahlerfolg auch im benachbarten Tschechien. Dort schürt die «Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit» (DSSS) Unruhe mit denselben Methoden wie die Slowaken: Bei den Aufmärschen der DSSS durch Roma-Quartiere war Kotleba öfter dabei. Eine Prager Zeitung behauptet, Kotleba habe «bei Tschechen gelernt». Kotleba und der Führer der tschechischen Partei, Tomas Vandas, sind befreundet. Vandas findet den Sieg des Slowaken «sehr inspirierend und motivierend». Die tschechischen Neonazis werden dieses Jahr bei Regionalwahlen antreten.