Wenn der Finanzberater zweimal klingelt

1. Juli 2013

Mit neuem Namen will Swiss Life dem umstrittenen Finanzberater AWD ein besseres Image geben. An den Methoden, Kunden zu ködern, hat sich nicht viel geändert, wie ein Beratergespräch zeigt.

Der Anruf erstaunt Christina P.* doch sehr. Die Frau am anderen Ende der Leitung stellt sich als Mitarbeiterin von Swiss Life Select Österreich vor und bittet um ein persönliches Gespräch. Es gehe um «Optimierung» von Versicherungen und Vermögen. P. hat das schon einmal erlebt: ein Anruf, eine harmlos klingende Bitte um ein Gespräch, das Angebot einer todsicheren Geldanlage. Zwei Jahre danach stürzten die angeblich sicheren Aktien ins Bodenlose und P. verlor umgerechnet 8500 Franken.

Beraten wurde P. damals von derselben Firma, die jetzt wieder ihre Dienste aufdrängt: dem von Carsten Maschmeyer gegründeten und 2007 an Swiss Life verkauften Finanzdienstleister AWD. Ende 2012 beschloss der Zürcher Versicherer die Umbenennung der Problemtochter in Swiss Life Select und versprachen eine Neuausrichtung mit «erstklassigem Beratungsangebot» und «ganzheitlicher Betreuung». Mit dem neuen Namen werde eine «Qualitätsmarke» auf dem österreichischen Markt etabliert, hiess es in einer Mitteilung im April.

Das Beispiel der ehemaligen Kundin P. zeigt, dass Swiss Life Select auf der Suche nach Kunden mit denselben umstrittenen Methoden wie der AWD arbeitet. Die Berater arbeiten weiterhin selbstständig auf Provisionsbasis, sie versprechen das grosse Glück und sind bei Geschäftsanbahnungen äusserst hartnäckig. Selbst wer am Telefon deutlich sagt, dass er keine Beratung wünscht, wird wieder und wieder angerufen.

«Die wollte mich weich klopfen»

Ab 3. September werden am Handelsgericht Wien fünf Sammelklagen gegen AWD/Swiss Life Select verhandelt. 2500 Kläger fordern Schadenersatz, der Streitwert beträgt 40 Millionen Euro. Der Verein für Konsumenteninformation vermutet systematische und absichtliche Fehlberatung: Die Kunden seien zum Kauf von Immobilienaktien gedrängt worden, AWD-Berater hätten dafür höhere Provisionen als üblich erhalten. AWD-Vertreter bestreiten das.

Christina P. ist an den Sammelklagen nicht beteiligt. Die Mutter zweier Kinder ging 2010 vor Gericht, bekam in einem Vergleich aber nur einen kleinen Teil des angelegten Geldes zurück. Mehr als das verlorene Vermögen schmerzt sie der Verlust einer Freundschaft. Eine alte Schulfreundin hatte ihr die Vermögensberatung angeboten und zum Kauf von Aktien des aufstrebenden Wiener Immobilienkonzerns Immofinanz geraten. P. hätte lieber in nachhaltige Fonds investiert. Den Rat der Freundin wollten sie aber nicht ausschlagen. Dann stürzte der Aktienkurs ins Bodenlose, und die angebliche Freundin tauchte ab. Seit diesem Gerichtsverfahren will P. nie wieder mit AWD oder einer anderen Vermögensberatung zu tun haben.

Seit Mai aber klopft das Unternehmen wieder bei ihr an. Dem ersten Anruf folgen drei weitere. Beim vierten Anruf sei sie sehr aufgewühlt gewesen und habe ihre Meinung gesagt, erinnert sich P.: «Die Frau von Swiss Life Select hörte mir verständnisvoll zu und begann wieder von vorn. Die wollte mich weich klopfen. Das machte sie sehr professionell.»

Nach dem Telefonat bekommt P. eine Mail, in der sich die Beraterin für das «sehr offene Gespräch soeben am Telefon» bedankt und nochmals zum persönlichen Gespräch lädt. P. nimmt zum Schein die Einladung an. Zum Gespräch in der Zentrale von Swiss Life Select, einem kalten Bürobau in einem Industriegebiet am südlichen Stadtrand Wiens, erscheint dann der Reporter des TA, getarnt als «Lebensgefährte» von P. Eineinhalb Stunden lang erhält er von einem Berater eine Einführung in die Welt von Swiss Life Select, unterstützt durch eine Computerpräsentation mit dem alten Logo «AWD». Fachausdrücke fallen, offenbar um potenzielle Kunden zu beeindrucken: Basic Investment, Core Produkte, Global Management. Von Rohstoffaktien ist die Rede und von Länderbewertungen: Brasilien könnte im Kommen sein. Wer sich überfordert fühlt, bekommt die einfachere Variante serviert: die Vermögensanlage als Sachertorte, «mit einem Sahnehäubchen darauf». Wer es noch einfacher will, bekommt ein Versprechen: «Ich bin der Architekt Ihres Vermögens. Sie sagen mir Ihre Wünsche und ich erledige das für Sie.»

Alte Kunden abtelefonieren

Das klingt überzeugend. Aber überzeugend klang auch P.’s Freundin, die als AWD-Beraterin zum Kauf von Immofinanzaktien riet und P. damit um ihr Geld brachte. Den Verlust könne er nicht wieder hereinholen, sagt der Berater heute zum vermeintlichen Lebensgefährten von P.: Die Schuld liege wohl bei der damaligen Beraterin. Es sei ja absehbar gewesen, «dass mit der Immofinanz etwas passiert: Wenn eine Aktie um 36 Prozent steigt, und ich sage meinem Kunden nicht: Geh raus, das ist unnatürlich - dann handle ich grob fahrlässig.»

Auch sonst plaudert der Berater recht offen. Dass die ehemalige Kundin P. nun wieder angerufen werde, sei kein Zufall, sondern Anordnung von oben. Alte Kunden, «die in der Luft hängen», sollen überprüft werden: Sind sie zu neuen Investments bereit? Das sei gar nicht so einfach, denn bei Kunden, die vor 20 Jahren angeworben wurden, stimme oft weder Telefonnummer noch Adresse, klagt der Berater. Wer aber doch abhebt, dem wird beharrlich ein Gespräch aufgedrängt. Das Unternehmen arbeite unter dem neuen Schweizer Eigentümer viel seriöser, behauptet der Berater: mit 500 statt wie früher mit 1500 Beratern, denen 400 statt 25 000 Fonds zur Auswahl stehen.

Verdienst hängt von Verkauf ab

Der Sprecher von Swiss Life Select Österreich, Hansjörg Nagelschmidt, schreibt dem TA, dass es keine zentral gesteuerten Versuche gebe, ehemalige Kunden des Unternehmens zurückzugewinnen. Dass die Beraterinnen und Berater ihre Kunden über die Weiterentwicklung des Geschäftsmodells informierten, sei keineswegs ungewöhnlich, «sondern Teil der Service-Qualität».

AWD war in Österreich vor der Immofinanz-Krise äusserst populär. Zehntausende Österreicher liessen sich von Bekannten oder Verwandten zu einer Vermögensberatung überreden. Auch wenn sie heute nichts mehr mit der Firma zu tun haben - ihre Akten liegen immer noch bei Swiss Life Select, mit detaillierten Auskünften über Familienstand, Kinder, Haustiere, Autos, Einkommen und Schulden. Für jede Marketingabteilung wären solche Akten von unschätzbarem Wert. Hansjörg Nagelschmidt sagt, dass sein Unternehmen Kundendaten niemals anderen Firmen zur Verfügung gestellt habe oder stellen werde.

Auch wenn Swiss Life Select die Daten nur für eigene Werbung benutzt, bewegt sich die Firma in einer rechtlichen Grauzone. Sogenannte cold calls (unerbetene Werbeanrufe) sind in Österreich verboten. Vermutlich haben ehemalige Kunden des AWD in den Verträgen aber unterschrieben, dass sie solchen Anrufen zustimmen.

Nicht geändert hat sich bei Swiss Life Select der Status der Berater. Sie sind, wie früher beim AWD, selbstständig und arbeiten auf Provisionsbasis. Die Kunden zahlen lediglich 96 Euro für eine Analyse ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse. Alle weiteren Kosten sind «bei jedem Finanzprodukt in den Vertriebskosten einberechnet», sagt der Vermögensberater in der Wiener Zentrale von Swiss Life Select. Das Einkommen der Berater hängt also weniger von der Qualität der Beratung als von der Provisionshöhe der verkauften Produkte ab. Der Sprecher von Swiss Life Select entgegnet, dass seine Firma ja nicht auf reinen Produktverkauf, sondern ganzheitlichen Beratungsansatz setze.

Auch das aggressive Werben im Freundes- und Verwandtenkreis ist weiterhin nicht tabu. Dem TA liegt die Aussage einer Wienerin vor, die letzten Monat von einem Freund zum Beratungsgespräch mit einem befreundeten Swiss-Life-Berater gedrängt wurde. Das Argument: Dieser Freund sei neu im Geschäft und brauche Kunden. Auch der Berater in Wien-Liesing bittet zum Abschied den vermeintlichen Kunden um Weiterempfehlung: «Es ist für uns das Allerwichtigste. Davon leben wir.»