Ein paar Scheine zu viel

29. Mai 2012

Tschechiens Polizei hat einen Korruptionsskandal rund um EU-Fördergelder aufgedeckt - und fand Beweise an ungewöhnlichen Orten.

Von Bernhard Odehnal, Prag

Es war nur eine unscheinbare Schachtel. Aus Karton. Gedacht für den Transport von Weinflaschen. Doch als die Polizisten die Verpackung öffneten, flatterten ihnen viele grüne Scheine entgegen. Insgesamt sieben Millionen tschechische Kronen (gut 333 000 Franken) fanden die Beamten vergangene Woche in dem Behältnis - und verhafteten sofort dessen Besitzer. Der ist kein Unbekannter in der tschechischen Politik: David Rath galt als Zukunftshoffnung der sozialdemokratischen Partei CSSD. Er war der bunte Vogel in der Masse grauer Politiker. Rhetorisch war der 46-jährige Arzt und ehemalige Gesundheitsminister seinen Parteikollegen so überlegen wie den politischen Konkurrenten. Dafür musste er auch Prügel einstecken - einmal nicht nur metaphorisch, sondern handfest.

Rath war zuletzt Abgeordneter und Gouverneur der Region Mittelböhmen, die Prag umschliesst. Dass er dabei nicht nur ans Amt, sondern vor allem ans eigene Wohlergehen dachte, erfuhr die Polizei nach monatelangen geheimen Ermittlungen. Sie beschattete den Politiker und erwischte ihn auf der Heimfahrt mit der Geldschachtel im Auto. Rath wurde in Untersuchungshaft genommen. In diesen Tagen berät das Parlament über die Aufhebung seiner Immunität. Er selbst spricht von einer Intrige: Er habe geglaubt, in der Schachtel seien Weinflaschen. Die Geldscheine müssten ihm wohl untergeschoben worden sein.Doch die Polizei ermittelt nicht nur gegen den Gouverneur, sondern gegen ein Netzwerk von Bekannten. Fündig wurde sie bei der Leiterin des Spitals der Industriestadt Kladno. In ihrer Villa lagen unter dem Fussboden versteckt umgerechnet 1,5 Millionen Franken. Die Frau und weitere fünf Personen wurden ebenfalls festgenommen. Offenbar hatten Rath und seine Freunde Gelder aus den Fördertöpfen der EU veruntreut. Das Geld könnte durch Immobilienkäufe weiss gewaschen worden sein. Rath besitzt nicht nur eine stattliche Villa in Hostivice westlich von Prag, sondern auch Wohnungen in der Hauptstadt.

Korruptionsaffären sind Bestandteil der politischen Kultur Tschechiens. Immer wieder werden Politiker der Bestechung oder Geschenkannahme überführt. Zuletzt war es Vit Barta, die graue Eminenz der kleinen Regierungspartei Öffentliche Angelegenheiten: Er hatte versucht, eine Parteikollegin zu bestechen, wurde verurteilt und musste sein Regierungsamt abgeben. Seine Partei möchte ihn aber wieder aufnehmen.

Als die Sozialdemokraten noch an der Regierung waren, gerieten sie ebenfalls in den Sumpf der Korruption. Ihr junger Vorsitzender, Innenminister und kurzzeitiger Premier Stanislav Gross konnte nicht erklären, wie er den Kauf einer Luxusvilla in Prag finanziert hatte. Er wurde der Annahme von Schmiergeld bei einer grossen Privatisierung verdächtigt und musste zurücktreten.Überraschend am Fall Rath ist das unprofessionelle Horten grosser Mengen Bargelds in eher schlechten Verstecken. Für gewöhnlich nimmt nämlich tschechisches Schwarzgeld den in Europa üblichen Weg - über Konten in der Schweiz zu Briefkastenfirmen in der Karibik und auf den Kanalinseln. Der wegen Betrug und Steuervergehen gesuchte Unternehmer Tomas Pitr wurde vor zwei Jahren in St. Moritz verhaftet. Vor einem Monat lieferte ihn die Schweiz an Tschechien aus.David Rath galt bisher zwar als Populist, aber als ehrlich. Manchmal wurde er als linke Version von Jörg Haider bezeichnet: als einer, der den Mächtigen auf die Finger sah, der die Korruption beim Namen nannte. Dass ausgerechnet er als korrupt entlarvt wurde, wird die ohnehin starke Politikverdrossenheit der Tschechen weiter steigern. Staatspräsident Vaclav Klaus warnte vor einem ungeheuren Schaden für das politische System und das Image des Landes. Solche Fälle würden auch im Ausland registriert.

Neuwahlen vom Tisch

Klammheimliche Freude dürfte hingegen die labile Regierungskoalition empfinden. Denn die Forderung nach Neuwahlen ist vorerst vom Tisch. Die oppositionellen Sozialdemokraten, die sich schon als Sieger sahen, müssen jetzt erst einmal warten, bis die Affäre Rath vergessen ist. Freuen können sich aber auch die Mitarbeiter des Reisebüros Corrupt Tours, die Exkursionen zu den Baudenkmälern der Korruption im Land anbieten. Seit gestern führen sie ihre Kunden auch zu David Raths Villa nach Hostivice. Die erste Tour war sofort ausgebucht.