Ungarns letzte linke Zeitung gehört einer Liechtensteiner Firma

21. Oktober 2016

Ein geheimnisvoller ausländischer Investor will in die Zeitung «Nepszava» Geld stecken. Es soll sich nicht um den Schweizer Jürg Marquard handeln. 

Seit einiger Zeit galt es praktisch als fix: Die Firma Marquard-Media des Schweizer Unternehmers Jürg Marquard werde «Nepszava» übernehmen, die letzte regierungskritische linke Tageszeitung in Ungarn. Eine Pressemeldung der ungarischen Nachrichtenagentur MTI korrigiert nun dieses Gerücht: Nicht Marquard-Media, sondern eine neu gegründete Liechtensteiner Firma wird im ungarischen Medienmarkt mitmischen. Als Vertreter dieser Firma tritt der Liechtensteiner Treuhänder Daniel Vogt auf. Vogt ist Verwaltungsrat der XXI Century Invest, die über eine ungarische Tochterfirma gleichen Namens den Verlag Geomedia kaufte. Zur ungarischen Geomedia gehören neben «Nepszava» (Volksstimme) auch die grössere landwirtschaftliche Zeitung «Szabad Föld» (Freier Boden) und «Vasarnapi Hirek» (Sonntagsnachrichten). 

«Investor ist kein Schweizer» 

Der Kauf verunsichert die letzten Medien, die in Ungarn nicht unter Kontrolle von Regierungschef Viktor Orban stehen: «Ist der Schweizer Käufer von ‹Nepszava› ein Strohmann Orbans, oder ist er der Retter der linken Medien?», fragt die investigative Internetplattform Atlatszo. Sicher ist nur: Der neue Eigentümer des Medienunternehmens will vorerst unbekannt bleiben. 

Im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» stellt Verwaltungsrat Vogt klar: «Der Investor ist kein Ungar und kein Schweizer.» Jürg Marquard habe mit dem Kauf von Geomedia und «Nepszava» «absolut nichts zu tun». 

Mit ausländischen Investoren haben Ungarns Medien eher schlechte Erfahrungen gemacht. Die grösste regierungskritische Zeitung, «Nepszabadsag», wurde zuerst vom Verlagshaus Ringier an den österreichischen Investor Heinrich Pecina verkauft und von diesem vergangene Woche ohne Vorankündigung eingestellt. Sämtliche Mitarbeiter wurden ausgesperrt und haben seither keinen Zugang mehr zu ihren Computern. Nun soll der Zeitungstitel an einen regierungsnahen Oligarchen verkauft worden sein. 

An ein solches Szenario sei beim Kauf von «Nepszava» nicht gedacht worden, versichert Verwaltungsrat Vogt. Der neue Eigentümer werde den Geist der Zeitungen bewahren. Es gebe keinen politischen Willen und keine politische Einflussnahme, heisst es in der Meldung der ungarischen Nachrichtenagentur. Der Kauf sei ein «reines Investment». 

Geomedia machte im Vorjahr einen kleinen Gewinn von etwa 100 000 Franken. «Nepszava» spielt dabei kaum eine Rolle. Die Zeitung, die im 19. Jahrhundert von Sozialdemokraten gegründet wurde und im Kommunismus das Zentralorgan der gleichgeschalteten Gewerkschaften war, hat heute eine Auflage von höchstens 11 000 Stück. Allerdings sind auf dem Markt die 100 000 Leser der eingestellten «Nepszabadsag» zu haben. Wer eine regierungskritische, links orientierte Tageszeitung sucht, ist nunmehr auf «Nepszava» angewiesen. 

Medienmarkt ganz neu 

Der Chefredaktor der Sonntagsnachrichten, Zoltan J. Gal, spricht von einer ganz neuen Situation auf dem ungarischen Medienmarkt. Er möchte unter dem geheimnisvollen neuen Eigentümer expandieren und Journalisten von «Nepszabadsag» anheuern.