Ungarn

Der Protest zeigt Wirkung

7. Januar 2013

Viktor Orban liess die umstrittene Wählerregistrierung zurückziehen. Das ist noch kein Beweis für demokratische Gesinnung.

Das war nicht gerade ein optimaler Start ins neue Jahr für Viktor Orban. In der ersten Woche musste sich Ungarns Regierungschef von einer Reform verabschieden, die er als besonders bedeutend verteidigt hatte. Das ungarische Verfassungsgericht jedoch erklärte vergangenen Freitag Teile der neuen Wahlverfahrensgesetze für verfassungswidrig. Besonders die Pflicht für alle Wähler, sich neu registrieren zu lassen, missfiel den Richtern. Sie schränke das Wahlrecht «auf unbegründete Weise ein». Die Regierungspartei Fidesz beugte sich dem Urteil und erklärte, auf die Wählerregistrierung bei den nächsten Wahlen 2014 verzichten zu wollen.

Ungarns Studenten planen den Aufstand gegen die Regierung

13. Dezember 2012

Der radikale Abbau kostenloser Studienplätze und die Verpflichtung, Stipendien im Land abarbeiten zu müssen, treiben Tausende Hochschüler auf die Strasse.

«Sind wir fähig, gemeinsam den Wahnsinn der Regierung zu stoppen?» David Kiss macht eine kurze Pause, dann tönt ihm ein mächtiges «Jaaa» entgegen. Hunderte Studenten haben sich in der Aula der Budapester Technischen Universität versammelt, noch mehr warten vor dem Gebäude am Donauufer. Am Abend werden es mehrere Tausend sein, die durch die Innenstadt zum Parlament ziehen und eine Donaubrücke blockieren. Für den Studentenführer Kiss ist dieser Mittwoch eine Premiere: Zum ersten Mal protestieren Studierende, Assistenten und Professoren gemeinsam. «Und es ist kein Zufall, dass wir gerade hier beginnen», ruft er der Menge in der Aula zu, «denn hier haben Studenten schon einmal gezeigt, dass sie ein System verändern können.» 1956 begann mit einem Studentenprotest die Revolution gegen das kommunistische Regime.

Auch Orban distanziert sich vom Judenhass

3. Dezember 2012

Mit seiner Hetze gegen Juden hat ein rechtsradikaler Abgeordneter in Ungarn einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Am Sonntag demonstrierten über zehntausend Menschen in Budapest. Sogar die Partei von Premier Viktor Orban unterstützte die Kundgebung.

Hinter der Bühne hing ein riesiges «Nein», viele Kundgebungsteilnehmer trugen Tafeln mit der Aufschrift «Nie wieder!» und kleine rot-weiss-grüne Fahnen: Ungarns Hauptstadt erlebte gestern Nachmittag eine Premiere. Zum ersten Mal seit vielen Jahren konnten sich die konservative Regierungspartei Fidesz, die Sozialistische Partei, die ausserparlamentarische Opposition «Gemeinsam» sowie zivile Gruppen auf eine gemeinsame Demonstration einigen. Der «Massenprotest gegen den Nazismus» richtete sich gegen den grassierenden Antisemitismus im Land und einen Vorfall im Parlament: Vor einer Woche hatte der Abgeordnete der rechtsradikalen Partei Jobbik, Marton Gyöngyösi, zum Schluss einer Rede gefordert, dass sich die Namen aller Parlamentarier und Regierungsmitglieder mit jüdischer Abstammung offengelegt werden müssten, da sie ein «nationales Sicherheitsrisiko» darstellten.

Schritt für Schritt in Richtung Diktatur

29. November 2012

Nach der Presse nimmt sich Ungarns Regierungschef Orban das Wahlrecht vor.

Stellen wir uns kurz vor: Alle Schweizer Wahlberechtigten müssen sich neu registrieren lassen. Die Wählerverzeichnisse sind zwar auf dem letzten Stand. Doch der Bundesrat meint, dass es den Stimmbürgern an Demokratiebewusstsein mangle. Erst durch den Zwang zur Anmeldung würden die Wähler begreifen, was für ein kostbares Gut die Demokratie sei.

Weichen stellen in die Vergangenheit

6. November 2012

Auf der Budapester Kindereisenbahn lebt noch ein Stück kommunistischer Kultur.

«Egy, kettö – eins, zwei, eins, zwei». Zur hellen Stimme einer 17-jährigen Kommandantin marschiert die Kindergruppe im Gleichschritt auf den Bahnhof zu. Die Blicke sind geradeaus gerichtet, die Uniformen streng nach Vorschrift: blaue Jacken, blaue Krawatten und weisse Hemden bei den Jungen, blaue Röcke, gelbe Halstücher, weisse Strümpfe bei den Mädchen. Alle tragen blaue Schiffchen mit dem Emblem der ungarischen Staatseisenbahnen auf dem Kopf. «Eins, zwei, eins, zwei», so geht es die Treppen hinauf zum Bahnsteig. Dort muss die kleine Truppe Aufstellung nehmen und wird nach gemeinsam gebrülltem «Guten Morgen» mit Saft, Sandwich und Keksen versorgt.


Kindereisenbahn Budapest

Viktor Orban erhält einen ernsthaften politischen Gegner

24. Oktober 2012

Bei einer Kundgebung zum Nationalfeiertag in Budapest hat Ex-Premier Gordon Bajnai seine Rückkehr in die Politik angekündigt. Er gilt als einzige Figur der Opposition, die die Regierung gefährden könnte.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Die Organisatoren hatten ganze Arbeit geleistet, und auch das Wetter spielte mit. Am gestrigen sonnigen und milden Herbsttag war ganz Budapest auf den Beinen. Alle gedachten an diesem Nationalfeiertag des Aufstands gegen die Kommunisten vor 56 Jahren. Aber Regierung und Opposition taten es streng getrennt voneinander. In der politisch polarisierten Stimmung Ungarns im Jahr 2012 sind Gedenkfeiern über ideologische und parteiliche Grenzen hinweg undenkbar.

Viktor Orban schwärmt von Blut und Boden

19. Oktober 2012

Ungarns Premierminister zieht neue Register der nationalistischen Propaganda und stellt die Staatsgrenzen infrage.

Von Bernhard Odehnal, Wien

Neulich in Berlin, da klang er noch ganz nach überzeugtem Europäer. Von «grossen Herausforderungen» für den Kontinent sprach Viktor Orban in seiner Grundsatzrede über die Zukunft Europas in den Räumen der Konrad-Adenauer-Stiftung, von der Notwendigkeit eines «Demokratie-Managements» und eines «diskutierenden Europas». Zu Hause klingt das freilich ganz anders.

Der rote Stern wurde zur Kirsche

17. Oktober 2012

Osteuropa: In der Krise feiern kommunistische Parteien und Konzepte eine unerwartete Renaissance. 

Von Bernhard Odehnal, Wien

Die tschechische Republik erlebte am letzten Wochenende eine erstaunliche politische Wende, die im Rest Europas kaum beachtet wurde. Bei den Regionalwahlen errang die kommunistische Partei (KSCM) in den Landkreisen Usti (Aussig) und Karlovy Vary (Karlsbad) die relative Mehrheit und erhebt nun den Anspruch, die Regionalregierungen dort zu bilden. Auch in den anderen Kreisen schnitten die Kommunisten gut ab, während die bürgerlichen Regierungsparteien von den Wählern abgestraft wurden. Bei den gleichzeitig durchgeführten Wahlen für den Senat, das tschechische Oberhaus, schafften es 13 kommunistische Kandidaten in die Stichwahl. Gemeinsam mit den ebenfalls siegreichen Sozialdemokraten haben die Kommunisten nun die Mehrheit in den Kreisvertretungen und nach dem zweiten Wahlgang kommenden Sonntag vermutlich auch im Senat.

Atlantis an der Donau

16. Oktober 2012

Ungarns Hauptstadt Budapest verfällt mit beängstigender Geschwindigkeit.

Bernhard Odehnal, Budapest

«Kommen Sie nur herein, das wird Ihnen sicher gefallen: die beste Wohnung in meinem Portfolio!» Der junge Immobilienmakler ist entweder ein sehr guter Schauspieler oder von seinem Angebot tatsächlich überzeugt: «Ruhelage, top saniert, westlicher Standard», lobt er eine Wohnung, während er die Eingangstür aufschliesst: «So etwas finden Sie sonst nur in Wien oder Zürich.»

Der naive Traum vom Bewältigen der Geschichte

2. Oktober 2012

Ein Zürcher Filmproduzent möchte eine slowakische Kleinstadt an ihre jüdische Vergangenheit erinnern. Und stösst auf überraschend grossen Widerstand.

Von Bernhard Odehnal, Komarno

Der Saal ist voll, doch Peter Scheiner ist enttäuscht. Weder der Museumsdirektor noch sein alter Freund, der Vizebürgermeister, sind gekommen. «Es interessiert sie nicht», murmelt der Zürcher Filmproduzent, «obwohl es ihre eigene Vergangenheit ist.» So zeigt Scheiner den Film, den er zusammen mit seiner Frau Susanne gedreht hat, im ungarischen Gymnasium der slowakischen Kleinstadt Komarno vor hundert Schülern und ihren Lehrern. «Naive Träume» heisst die halbstündige Dokumentation über eine kleine jüdische Gemeinde, die dem Untergang trotzt. Scheiner möchte den Menschen von Komarno ihre vergangene und jetzige Geschichte zeigen und dabei erfahren, «wie viel sie davon überhaupt wissen».

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