Ungarn

Kämpfer an der Wasserfront

12. Juni 2013

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban inszeniert sich in der Flut als Verteidiger der Nation.

Noch ist die Gefahr nicht gebannt. Der Pegel der Donau sinkt nur langsam in Ungarn. Noch immer steht das Wasser bis knapp unter den Rand der Dämme: in Esztergom, im Donauknie und südlich der Hauptstadt. In Budapest stehen die Quais auf beiden Flussseiten weiterhin unter Wasser. Die Donau schwappte zwar nicht über die Sandsackbarrieren, kam aber durch die übervollen Abwasserkanäle an die Oberfläche und flutete Strassen und Plätze. Dennoch stellt der Krisenstab der ungarischen Regierung fest, dass die schwerste Zeit wohl überstanden sei. Das Atomkraftwerk Paks war nicht bedroht, auch die Dämme der hochgiftigen Rotschlammbecken nordwestlich von Budapest haben gehalten.


Land unter: Die Donau flutete die Quais von Budapest. Foto: B. Odehnal

«Viktor Orbán ist ein grosser Zyniker»

27. Mai 2013

Der Publizist Paul Lendvai gibt der ungarischen Regierung eine Mitschuld am wachsenden Antisemitismus und Nationalismus im Land. Ministerpräsident Viktor Orbán brauche neue Sündenböcke.

Mit Paul Lendvai sprach Bernhard Odehnal in Wien

Müssen Juden in Ungarn heute Angst haben?

Angst vielleicht nicht, aber ein Unbehagen ist schon zu spüren. Es gab ja auch einige Vorfälle: Fussballfans, die im Chor «dreckige Juden» brüllen – ein Rabbi wurde auf offener Strasse niedergeschlagen. Und dann gibt es noch die Beschimpfungen von Juden, über die nicht berichtet wird.


Paul Lendvai. Foto (Copyright): Heribert Corn

Dorf der Frankenopfer

10. Mai 2013

In der Nähe von Budapest entsteht auf der grünen Wiese eine Siedlung für Familien, die ihre Fremdwährungskredite – insbesondere in Franken – nicht zurückzahlen können.

Die Sonne brennt auf die ungarische Tiefebene, und der trockene Wind weht feinen Staub über die Felder. Zwei Wachleute einer privaten Security-Firma sitzen vor einem Container. Als sich ein Auto nähert, spannen sie ein Plastikband über die Strasse. Neben dem Band sind ein Stoppschild und eine Verbotstafel aufgestellt: Durchfahrt verboten. Durchgang verboten. «Machen Sie sich nichts daraus», sagt ein Wachtmann, «hier gibt es ohnehin nichts zu sehen.»
Zutritt verboten: Die neue Siedlung für überschuldete Familien wird gut bewacht. Foto: B. Odehnal

Orbán hat das Problem des Antisemitismus erkannt

3. Mai 2013

Ab Sonntag tagt der Jüdische Weltkongress in Budapest. Ein Fall von antisemitischer Gewalt hat die ungarische Regierung jetzt unter Zugzwang gesetzt.

Ein Fussballmatch in Budapest. Es spielt der Traditionsverein Ferencvaros, dessen Fans für ihre rechtsextreme, antisemitische Haltung berüchtigt sind. Auch an diesem Sonntag grölen einige im Ferenc-Puskas-Stadion «Sieg Heil». Als der Matchbesucher Ferenc Orosz die Fans neben ihm auffordert, solche Rufe zu unterlassen, beschimpfen sie ihn als «jüdischen Kommunisten». Nach dem Spiel schlagen ihm zwei Hooligans mit den Worten «So sieht ‹Sieg Heil› aus» ins Gesicht. Er wird mit einem Nasenbeinbruch ins Spital gebracht.

Ungarn ehrt den Schweizer Carl Lutz

23. April 2013

Mit einem Gedenkmarsch ist in Budapest an die Holocaustopfer und an den Schweizer Vizekonsul erinnert worden, der im Zweiten Weltkrieg viele Juden gerettet hatte. Neonazis störten den Anlass.

Der Anlass in Budapest beginnt mit einer Provokation. Während sich Zehntausende an diesem sonnigen Sonntagnachmittag unterhalb der Margaretenbrücke versammeln für den jährlichen Gedenkmarsch an die Holocaustopfer, hängen Neonazis ein Transparent über das Brückengeländer, das Israel auffordert, die Finger von Ungarn zu lassen. Es dauert nur zwei Minuten, bis beherzte Zuschauer den Neonazis das Transparent entreissen. Bis die ungarische Polizei zur Stelle ist, dauert es allerdings entschieden länger.


Agnes Hirschi auf dem Marsch der Lebenden in Budapest. Foto: B. Odehnal

Die Hetze gegen Juden und Roma wird in Ungarn mit Orden belohnt

18. März 2013

Das Schneechaos in Ungarn verhinderte zwar die Kundgebungen zum Nationalfeiertag – aber nicht die Auszeichnung mehrerer Antisemiten.

«Das Leben normalisiert sich wieder», verkündet Ungarns Regierungschef Viktor Orban auf seiner Facebook-Seite. Dazu gibt es ein kurzes Video mit Schneepflügen und dankbaren Bürgern, die von Rettungskräften vorbildlich betreut werden. Tatsächlich kehrte gestern ein wenig Normalität zurück nach Ungarn. Die Sonne schien zeitweise, die Temperaturen stiegen auf ein paar Grad über null. Doch die Ereignisse der vergangenen Tage werden die Ungarn nicht so schnell vergessen und die Politik wohl noch länger beschäftigen.

Viel Lärm um eine Fahne

11. Februar 2013

Ungarn und Rumänien sind in einen neuen Konflikt geraten. Auslöser ist die Fahne einer alten ungarischen Minderheit in Siebenbürgen.

Die Sache sei «noch lange nicht vorbei», droht Ungarns Staatssekretär Zsolt Nemeth dem Nachbarland Rumänien. Aussagen ungarischer und rumänischer Regierungspolitiker deuten darauf hin, dass beide Seiten an einer Eskalation des Konflikts interessiert sind. Ungarn und Rumänien steuern (wieder einmal) auf eine diplomatische Eiszeit zu.

Der Mann aus Eisen

5. Februar 2013

Von der Kettenbrücke bis zu den Tramrädern: Abraham Ganz, Zürcher Industriepionier und Ingenieursgenie, hat im 19. Jahrhundert Budapest geprägt. Er gab sich patriotisch ungarisch, blieb aber zeitlebens Schweizer.

Es war ein beeindruckender Trauerzug. Sechs Pferde zogen die schwarze Kutsche mit dem Sarg. Vor dem Wagen und zu beiden Seiten wurden Fackeln getragen, dahinter riesige Trauerfahnen. Hunderte Menschen folgten zu Fuss, darunter das «gesamte Arbeiterpersonal der Eisengiesserei, das in dem Verstorbenen einen liebevoll fürsorgenden Chef betrauerte», berichtete der «Pester Lloyd» am 18. Dezember 1867.


Die Budapester Kettenbrücke. Foto: B. Odehnal

In Budapest zu Grabe getragen wurde Abraham Ganz - ein Schweizer Unternehmer, dessen Name heute noch an vielen Orten Ungarns anzutreffen ist.

Die Ausgestossenen

1. Februar 2013

Von den Rechtsextremen werden sie als Parasiten beschimpft, ein regierungsnaher Publizist ruft zu ihrer Vernichtung auf. Wie leben die 750 000 ungarischen Roma in diesem Klima?

Die Gasflasche ist leer. Ilona Molnár kochte gerade Maccheroni, als die Herdflamme mit leisem Zischen erlosch. Das war gestern. Nun kann Molnár ihrer Grossfamilie nur kalte Nudeln mit Quark servieren. Eine neue Gasflasche kann sie erst von der nächsten Rate der Sozialhilfe kaufen, «aber wir wissen nie, wann die kommt».


Adrienn Molnár mit ihrem Sohn Sándor (auf dem blauen Kissen) und weiteren Kindern der Grossfamilie. Foto: Krisztián Bócsi

Aufruf zum Massenmord

9. Januar 2013

Der ungarische Publizist Zsolt Bayer betrachtet die Roma als Tiere und will sie sofort vernichten.

Eben erst musste Ungarns Regierung erklären, warum sie spät und zaudernd auf Antisemitismus im Parlament reagierte. Jetzt muss sie einen neuen Fall von Rassismus behandeln. Dieses Mal nicht seitens der rechtsradikalen Partei Jobbik, sondern in den eigenen Reihen. Der Publizist Zsolt Bayer, Gründungsmitglied der Regierungspartei Fidesz und persönlicher Freund von Regierungschef Viktor Orban, rief in seiner Kolumne in der Zeitung «Magyar Hirlap» dazu auf, die Roma zu vernichten.

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