Ungarn

Mit Nato-Draht gegen Flüchtlinge

18. Juli 2015

Ungarn verlegt Auffanglager aus den Städten ins Niemandsland, an der Grenze zu Serbien sind die ersten Meter des geplanten Zauns gebaut, der neue Ankömmlinge stoppen soll. Doch die Zahl der illegalen Grenzübertritte steigt rapid an. 

Schwarze Limousinen rasen durch die Puszta. Sie hüllen blühende Sonnenblumenfelder in Strassenstaub und schrecken Jungstörche aus ihren Nestern auf. Ihr Ziel ist eine Lichtung inmitten dichter Akazienhecken: die ungarisch-serbische Grenze. Um Flüchtlinge am Grenzübertritt zu hindern, will die ungarische Regierung hier einen Zaun errichten, 175 Kilometer lang und vier Meter hoch. 

Die schwarzen Limousinen bringen Prominenz aus der Hauptstadt. Innenminister Pinter, Verteidigungsminister Hende und Regierungssprecher Kovacs zeigen 20 Kilometer westlich der Stadt Szeged etwa 100 Journalisten die ersten Meter des neuen Zauns. Pinter stapft an diesem glühend heissen Tag in Gummi­stiefeln durch den Pusztasand. Schmutzig machen müssen sich die Politiker aber nicht, für sie wurde eine Bühne mit Rednerpulten errichtet.


Zwei Minister und ein Zaun: Sandor Pinter (re.) und Csaba Hende an der ungarisch-serbischen Grenze. Foto: B. Odehnal

Drohungen vor der Budapest Pride

11. Juli 2015

In Ungarns Hauptstadt feiern heute Tausende Schwule und Lesben auf der Strasse. Rechtsextreme Gruppen haben Gegenaktionen angekündigt. 

Die Vorfreude ist gross, die Nervosität ebenso. Über 10 000 Teilnehmer werden heute Samstag in der ungarischen Hauptstadt bei der Schwulen-und-Lesben-Parade Budapest Pride erwartet. Der Marsch über den mondänen Andrassy-Boulevard ist traditionell der Abschluss eines einwöchigen Kulturfestivals. Ebenso traditionell sind allerdings die Proteste rechtsextremer Gruppen gegen die Parade, bei der in den vergangenen Jahren Regenbogenfahnen verbrannt und Paradeteilnehmer zum Teil schwer verprügelt wurden. Auch in diesem Jahr erwartet die ungarische Schwulen-und- Lesben-Organisation Hatter tätliche Angriffe. Die rechtsextreme Partei Jobbik bezeichnet Homosexualität als «entartet» und «antichristlich»; seit Jahren fordert sie ein Verbot der Veranstaltung. 

Grüss euch, die Post ist da!

11. Juli 2015

Der ungarische Briefträger Tibor Szöke möchte die Welt ein klein wenig besser machen. Deshalb trägt er dort Briefe aus, wo niemand anderer hingehen will – in die Slums der Stadt Pécs. 

Gegen halb neun Uhr morgens wird das Tor des Postverteilzentrums geöffnet. Über 100 Briefträger eilen hinaus auf den Bahnhofsvorplatz der süd­ungarischen Stadt Pécs. Nur wenige haben ein Auto, die meisten gehen zu Fuss oder steigen in den öffentlichen Bus. Tibor Szöke nimmt die Linie 4, die zwischen Uranstadt im Westen und Heldenplatz im Osten der Stadt verkehrt. 20 Minuten muss er bis zur Endstation am Stadtrand fahren. Ein Sitzplatz ist um diese Tageszeit kaum zu bekommen, aber Szökes dunkelgrüne Posttasche ist heute auch nicht besonders schwer. Die Sozialhilfe hat er vergangene Woche ausbezahlt, Pakete muss er nur selten mitnehmen. Dafür trägt er viele eingeschriebene Briefe: von der Polizei, vom Gericht oder von Inkassobüros. Und dann sind da noch die kleinen Zettel, die Szöke weit über sein Zustellgebiet hinaus bekannt gemacht haben: Auf sieben mal fünf Zentimeter grosse grüne, rosa oder gelbe Papierstücke schreibt er mit der Hand selbst ausgedachte Lebensweisheiten und Aufmunterungen. Der streng katholische Szöke verteilt sie jeden Tag auf seinem Rundgang: «Das Gute kann man immer vermehren. Nur das lohnt sich im Leben.» Er schätzt, dass er bisher schon an die 50 000 Zettel geschrieben hat. 


Briefträger Tibor Szöke hat kein Problem mit den Menschen der Siedlung. Nur mit ihren Hunden. Foto: Andras D. Hajdu

Plakate unter Beschuss

12. Juni 2015

Die Regierung in Budapest verstärkt ihre Kampagne gegen ­Flüchtlinge. Sie stösst auf Widerstand und Spott. 

Die alte Bergwerkssiedlung Hösök tere am Rand der südungarischen Stadt Pécs kennt viele Probleme: die Schliessung der Minen, die hohe Arbeitslosigkeit, die Abwanderung und die Verarmung der verbliebenen Bewohner. Asylbewerber aus dem arabischen Raum oder Afrika aber sind hier völlig unbekannt. Flüchtlinge habe sie noch nie gesehen, sagt eine Frau im Elendsviertel. 


«Wenn Sie nach Ungarn kommen, müssen Sie die Gesetze befolgen»: Regierungplakat in einem entlegenen Vorort der Stadt Pécs. Foto: B. Odehnal

Im Osten das Alte

5. Mai 2015

Staats- und Regierungschefs im Osten der EU werden Europamüde und entdecken ihre seltsame Liebe zum russischen Regime.

Eine so grosse Anerkennung hat Tschechiens Präsident zu Hause noch nie bekommen. Milos Zeman sei mutig und ehrlich, lobte ihn Sergei Naryschkin, Präsident des russischen Parlaments. Der enge Vertraute Wladimir Putins schränkte zwar ein, dass Zeman mit seinen speziellen Ansichten zu Gegenwart und Geschichte viel Kritik ernte. Das aber , sagte er, sei doch nur ein Beweis für sein Verantwortungsbewusstsein: Zeman schütze eben die Wahrheit.

So hohes Lob aus dem Kreml muss jetzt noch verdient werden: Als einziger Präsident eines EU-Staates wird Zeman am 8. und 9. Mai zu den Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag des Siegs der UdSSR über Nazideutschland nach Moskau reisen.

Ungarns Regierungschef rüttelt an Europas Grundwerten

1. Mai 2015

Mit einer Bemerkung zur Einführung der Todesstrafe und einer manipulativen Befragung zur Flüchtlingspolitik ärgert Viktor Orban die EU. Brüssel reagiert mit einer Kampfansage, die Wirkung zeigt.  

Ein Überfall am helllichten Tag: In der südungarischen Kreisstadt Kaposvar raubte am 23. April ein junger Mann einen Tabakladen aus, stach dabei die 21-jährige Verkäuferin nieder und verletzte sie so schwer, dass sie kurz danach starb. Der Täter konnte mit 22 000 Forint (76 Franken) fliehen, wurde aber kurz danach von der Polizei gefasst. Der brutale Mord erschütterte das Land, kam aber nicht ganz überraschend. 

Rechtsextreme im Aufwind

14. April 2015

Die rechtsnationale Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban hat dem Extremismus den Weg bereitet.

Juden mag er nicht, Roma noch weniger. Auf seinen Oberkörper soll er sich den Wahlspruch der SS tätowiert haben: «Unsere Ehre heisst Treue.» Die ungarischen Wähler störte das nicht. Am Sonntag wählten sie Lajos Rig, den Kandidaten der rechtsextremen Partei Jobbik, ins Budapester Parlament. Die Wahl fand im Wahlkreis Tapolca in Westungarn statt, weil dort der Abgeordnete der Regierungspartei Fidesz bald nach den Parlamentswahlen 2014 verstorben war. Die Kandidaten der sozialistischen Opposition und der Grünen blieben weit abgeschlagen.

Viktor Orbans guter Geist in Bern

2. April 2015

Er leitete eine Privatbank in Genf, hatte beste Kontakte in den arabischen Raum. Jetzt ist Istvan Nagy ungarischer Botschafter mit besonderen Beziehungen zum Regierungschef. 

Besondere Geltungssucht kann man Istvan Nagy nicht vorwerfen. Ungarns ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter in Bern ist in diplomatischen Kreisen ein unbeschriebenes Blatt und gibt auch auf der Website der ungarischen Botschaft nicht viel von sich preis: keine Biografie, nur Willkommensworte, in denen Nagy die guten ­Beziehungen der beiden Länder lobt.

Eine ungarische Zeitung behauptet nun, dass diese Bescheidenheit weniger mit der Persönlichkeit des Botschafters als dessen Tätigkeit für Ministerpräsident Viktor Orban zu tun habe. Die Wochenzeitung «Vasárnapi Hírek» («Sonntägliche Nachrichten») schreibt, dass Nagy in ungarischen Regierungskreisen nur als «Orbans Schweizer Banker» bekannt sei. Die Zeitung beruft sich auf mehrere Auskunftspersonen, nennt jedoch keine Namen. Der TA wollte von Nagy wissen, ob die Bezeichnung zutreffe, bekam jedoch keine Antwort. 


Viktor Orban und Botschafter Nagy im Zürcher HB. Foto: 444.hu

Lohn der Korruption

24. Februar 2015

Der Sieg des Oppositionskandidaten bei einer Nachwahl in Ungarn zeigt die Unzufriedenheit der Wähler mit Premier Orban. 

Sie versuchten es mit Zuckerbrot und mit der Peitsche. Erst mit zusätzlichen Kandidaten, die Wähler verwirren und damit Oppositionsparteien schwächen sollten. Dann mit dem Versprechen, ein neues Schwimmbad zu bauen. Und schliesslich mit der Drohung, den Geldhahn zuzudrehen, sollte der falsche Kandidat gewinnen. Es half alles nichts.

Mit einer überraschend deutlichen Mehrheit von 42,5 Prozent gewann bei den Nachwahlen in der ungarischen Gemeinde Veszprem der von der vereinten linken Opposition unterstützte Zoltan Kesz. Der junge Lehrer zieht ins Budapester Parlament ein, und die Regierungspartei Fidesz verliert die Zweidrittelmehrheit. Besonders schmerzhaft ist dieser Verlust nicht. Die Regierung von Viktor Orban konnte sich fünf Jahre lang auf die «Supermehrheit» stützen, damit eine neue Verfassung beschliessen sowie die wichtigsten Posten in Justiz und öffentlich-rechtlichen Medien unter Parteianhängern verteilen. Orban muss sich nicht fürchten: Die staatlichen Institutionen bleiben weiterhin fest in seiner Hand.

Partner der Schweiz in Schwierigkeiten

30. Januar 2015

Die Budapester Stiftung Ökotars soll Geld aus dem Erweiterungsbeitrag verwalten. Doch die ungarische Regierung wirft der NGO Unregelmässigkeiten vor und behindert ihre Arbeit.

Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in Ungarn seien im Zustand «der Verzweiflung und des Schocks», erklärte Veronika Mora vergangene Woche im EU-Parlament. Mora leitet die Stiftung Ökotars, die unter anderem im Auftrag des Schweizer Aussenministeriums (EDA) Gelder des Erweiterungsbeitrags an NGOs in Ungarn verteilt. Der Ausschuss für Recht und Bürgerfreiheit hatte sie nach Brüssel geladen, um sich ein Bild über die Menschenrechtslage in Ungarn zu machen.


Im vergangenen September durchsuchten Polizisten das Ökotars-Büro in Budapest.
Foto: B. Odehnal

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